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Des wunderten sich alle und staunten und riefen: ‚Graf Eberhard hat recht‘, und ließen treue Württemberger leben. Geht jetzt der Herzog durch den Wald, so kommen sie und schlagen ihn tot, und leg’ ich meine Treuen in die Burgen, kaum wende ich den Rücken, so handeln sie mit dem Feind. Die Treue soll der Kuckuck holen, – doch fahre fort; gib mir den Kelch bis auf die Hefe, ich bin der Mann dazu, ohne Furcht den Grund zu sehen.“

„Nun, daß ich’s kurz sage, ich hielt mich noch in Tübingen auf, bis ich Gewißheit bekäme wegen der Übergabe. Gestern, am Ostermontag, sind sie zusammengekommen; sie haben die Pakten schriftlich aufgesetzt und nachher durch den Herold auf den Straßen ausrufen lassen, um fünf Uhr abends haben sie das Schloß übergeben. Ihr seid der Regierung förmlich entsetzt. Prinz Christoph, Euer Söhnlein, behält Schloß und Amt Tübingen, doch zu des Bundes Dienst und unter seiner Obervormundschaft, und in das übrige, heißt es, werden sich die Herren teilen. Ich habe viel Jammer erfahren in meinem Leben, ich habe einen Freund im Lanzenstechen umgebracht, ein liebes Kind ist mir gestorben und mein Haus abgebrannt, aber, so wahr mir Gott gnädig sei und seine Heiligen, mein Schmerz war nie so groß als in jener Stunde, wo ich des Bundes Farben neben Euer Durchlaucht Panieren aufpflanzen, als ich ihr rotes Kreuz Württembergs Geweihe und den Helm mit dem Jagdhorn bedecken sah!“

So sprach Marx Stumpf von Schweinsberg. Die Sonne war während seiner Erzählung völlig heraufgekommen, auch an den äußersten Bergen war der Nebel gefallen, und was um die fernen Höhen von Asperg zog, war ein Duft, der wie ein zarter Schleier vom Horizont herabhing und die Gegenden, über welche er sich breitete, nur in noch reizenderem Lichte durchschimmern ließ. Angethan mit dem sanften Grün der Saaten, mit den dunkleren Farben der Wälder, geschmückt mit freundlichen Dörfern, mit glänzenden Burgen und Städten, lag Württemberg in seiner Morgenpracht. Sein unglücklicher Fürst überschaute es mit trüben Blicken. Die Natur hatte ihm einen festen Mut und ein Herz gegeben, das Kummer und Elend nicht zu brechen vermochte; nicht zu jeder Stunde, nicht jedem teilte er seine Empfindungen [291] mit, und wenn ein großes Unglück über ihn kam, pflegte er zu schweigen und zu handeln.

Auch in diesen schrecklichen Momenten, wo mit der letzten festen Burg seine letzte Hoffnung gefallen war, verschloß er einen großen Schmerz in einer tapfern Brust. Wer stand je an dem Sarg einer Mutter und fühlte nicht, wenn er den letzten Blick auf die teuren bleichen Züge, auf den verstummten Mund warf, bittere Empfindungen in sich aufsteigen? Es ist die Reue, was in solchen Augenblicken den Menschen übermannt. Man erinnert sich, wie unendlich viel sie für uns gethan, wie sie uns als Kind so liebreich hegte, wie ihr kein Opfer zu schwer ward, das sie dem Jüngling nicht gebracht hätte. Und wie haben wir vergolten? Wir waren gleichgültig gegen so viele rührende Liebe; wir glaubten, es müsse nun einmal so sein, wir waren sogar undankbar und murrten, wenn nicht alle unsere Wünsche schnell erfüllt wurden, wir verpraßten ihr Gut und achteten nicht auf ihre stillen Thränen.

Jetzt, wo dieses liebevolle Auge uns nicht mehr sieht, wo dieses Ohr auf immer verschlossen ist, das nur auf unsere Wünsche lauschte, wo diese Hände unsern letzten Druck nicht mehr fühlen, diese Hände, die uns mühsam nährten: jetzt bestürmen alle jene Gefühle von Reue, Dankbarkeit, Liebe unsere Brust, deren eines hingereicht hätte in den vorigen Tagen, sie glücklich zu machen!

Ein ähnliches Gefühl der Reue war es, was drückend auf der Brust Ulerichs von Württemberg lag, als er auf sein Land hinabschaute, das auf ewig für ihn verloren schien. Seine edlere Natur, die er oft im Gewühle eines prächtigen Hofes und betäubt von den Einflüsterungen falscher Freunde verleugnet hatte, trauerte mit ihm, und es war nicht sein Unglück allein, was ihn beschäftigte, sondern auch der Jammer des okkupierten Landes.

Als er sich daher nach geraumer Zeit von dem Anblick in die Ferne zu seinen Freunden wandte, staunten sie über den Ausdruck seiner Züge. Sie hatten erwartet, Zorn und Grimm über den Verrat seiner Edlen auf seiner Stirne, in seinen Augen zu lesen, aber es war eine tiefe Rührung, ein stiller, großer Schmerz,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 290–291. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_168.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)