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„Der Mann ist da!“ antwortete jene Stimme, die Georg von seinem Besuch in der Höhle so wohlbekannt war.

Ein alter Mann, der Burgwart, kam aus einer Kasematte, die in den Grundfelsen gehauen war. Er öffnete mit einem wunderlich geformten Schlüssel das Schloß der Zugbrücke. Indem er noch damit beschäftigt war, stürzte in großen Sprüngen der Hund die Treppe herab; er winselte, er wedelte mit dem Schwanz, er hüpfte an dem Burgwart hinauf, als wolle er ihm behülflich sein, die Brücke für seinen Herrn herabzulassen. Und jetzt kam auch Marie, sie trug ein Windlicht und leuchtete damit dem Alten, der mit seinem Aufschließen nicht zurechtzukommen schien.

„Spute dich, Balthasar!“ flüsterte sie, „er wartet schon eine gute Weile, und draußen ist’s kalt und es weht ein garstiger Wind.“

„Jetzt nur noch die Kette los, gnädiges Fräulein“, antwortete er, „dann sollt Ihr gleich sehen, wie schön meine Brücke fällt. Ich habe auch, wie Ihr befohlen habt, die Fugen mit Öl geschmiert, daß sie nicht mehr garren und die Frau Rosel aus ihrem sanften Schlaf aufwecken.“

Die Ketten rauschten in die Höhe, die Brücke senkte sich langsam nach außen und legte sich über den Abgrund; der Mann aus der Höhle, in seinen groben Mantel eingehüllt, schritt herüber. Georg hatte sich das Bild dieses Mannes tief ins Herz geprägt, und doch überraschten ihn aufs neue seine auffallend kühnen Züge, sein gebietendes Auge, seine freie Stirne, das Kräftige, Gewaltige in seinen Bewegungen.

Der Schein des Windlichtes fiel auf ihn und Marie, und noch lange Jahre bewahrte Georg die Erinnerung an diese Gruppe. Die schlanke Gestalt der Geliebten, das dunkle Haar, dessen Flechten aufgegangen waren und nun um den zierlichen Hals herabströmten, die blendende Stirne, das sinnige, blaue Auge, dem die langen, dunkeln Wimpern und die schöngeschwungenen Bogen der Brau’n einen eigentümlichen Reiz gaben, der kleine, rote Mund, die zarte Farbe ihrer Wangen, dies alles, überstrahlt von dem Lichte, das sie in der Hand hielt, bewirkte, daß Georg glaubte, [273] die Geliebte nie so reizend gesehen zu haben, als in diesem Augenblick, wo der Kontrast gegen die scharfen, kräftigen Formen des Mannes, der neben ihr stand, ihr zartes, liebliches Wesen noch mehr hervorhob.

Der nächtliche Gast half mit beinahe übermenschlicher Kraft dem alten Pförtner die Brücke wieder aufziehen. Dann zog sich der Alte zurück und Georg vernahm folgendes Gespräch:

„Ist Nachricht da von Tübingen? Ist Marx Stumpf zurück? Ich lese Unglück in Euren Mienen!“

„Nein, Herr, er ist noch nicht zurück“, sagte Marie, „der Vater erwartet ihn aber noch diese Nacht.“

„Daß ihm der Teufel Füße mache! Ich muß warten, bis er kommt, und sollte es Tag darüber werden. – Hu! eine kalte Nacht, Fräulein“, sagte der Geächtete, „meine Schuhu und Käuzlein in der Nebelhöhle muß es auch gewaltig frieren, denn sie schrieen und jammerten in kläglichen Tönen, als ich heraufstieg.“

„Ja, es ist kalt“, antwortete sie, „um keinen Preis möchte ich mit Euch hinabsteigen; und wie schauerlich muß es sein, wenn die Käuzlein schreien; mir graut, wenn ich nur daran denke.“

„Wenn Junker Georg Euch begleitete, ginget Ihr doch mit“, erwiderte jener lächelnd, indem er das errötende Gesicht des Mädchens am Kinn ein wenig in die Höhe hob; „nicht wahr, mit dem ginget Ihr in die Hölle? Was das für eine Liebe sein muß! Weiß Gott, Euer Mund ist ganz wund; nein, gar zu arg müßt Ihr es doch nicht machen mit Küssen.“

„Ach, Herr!“ flüsterte Marie, indem sich aufs neue eine dunkle Röte über die zarten Wangen goß; „wie mögt Ihr nur so sprechen. Wißt Ihr, daß ich gar nicht mehr herabkomme, Euch gar nicht mehr koche, wenn Ihr so von mir und dem Junker denket?“

„Nun, einen Scherz müßt Ihr mir schon gelten lassen“, sagte der Ritter und kniff sie in die errötenden Wangen, „ich habe ja in meiner Behausung da unten so wenig Zeit und Gelegenheit zum Scherzen. Aber was gebt Ihr mir, wenn ich für den Junker ein gutes Wort einlege beim Vater, daß er ihn Euch zum Mann

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 272–273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_159.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)