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kommen, sie ergriff die Hände des jungen Mannes und überströmte ihn mit einem Schwall von Worten:

„Ei, du meine Güte! hätt’ ich g’laubt, daß meine alten Augen den Junker von Sturmfeder noch schauen würden. Und ich mein’, Ihr sind noch schöner worden und größer, seit ich Euch nimmer sah! Hätt’ ich das gewußt! Steh da, wie ein Stock an der Thür, denke, ei! wer spricht jetzt mit der gnädigen Fräulein? Der Herr ist’s nicht; von den Knechten ist’s auch keiner! Ei, was man nicht erlebt! jetzt ist’s der Junker Georg, der da drin spricht!“

Georg hatte sich während dieser Reden der Frau Rosel vergeblich von ihr loszumachen gesucht. Er fühlte, daß es sich nicht gezieme, vor ihr zu zeigen, daß er auf Marien zürne, und doch glaubte er keinen Augenblick mehr bleiben zu können. Er rang endlich eine Hand aus der knöchernen Faust der Alten, aber indem er sie frei fühlte, hatte sie auch schon Marie ergriffen, hatte sie, ohne auf Frau Rosels höhnisches Lächeln zu achten, an ihr Herz gedrückt; er war bei dieser Bewegung einem ihrer Blicke begegnet, die ihn auf ewig zu bannen schienen. Jetzt aber erwachte in ihm ein neuer Kampf, eine neue Verlegenheit. Er fühlte seinen Unmut schwinden, er fühlte, daß es Marie nicht so bös mit ihm gemeint habe – wie sollte er aber jetzt mit Ehren zurückkehren? Wie sollte er so ganz ungekränkt scheinen? Wäre er mit Marien allein gewesen, so war es vielleicht noch eher möglich, aber vor diesem Zeugen, vor der wohlbekannten Frau Rosel umzukehren, sich durch einen Händedruck, durch einen Blick erweichen lassen und gefangen geben? Er schämte sich vor diesem Weib, weil er sich vor sich selbst schämte, und wir haben gehört, daß dieses Gefühl der Scham, die Ungewißheit, wie man, ohne zu erröten, zurückkehren könne, schon oft aus einer kurzen Trennung in Unmut eine dauernde gemacht und die schönsten Verhältnisse gebrochen habe.

Frau Rosel hatte sich einige Augenblicke an der Angst, an dem Gram ihres Fräuleins geweidet, dann aber siegte die ihr angeborne Gutmütigkeit über die kleine Schadenfreude, die in ihr aufgestiegen war. Sie faßte die Hand des Junkers fester: „Ihr werdet uns doch nicht schon wieder verlassen wollen, nachdem Ihr kaum ein Stündchen auf dem Lichtenstein verweilt habt? Ehe Ihr [261] etwas zu Mittag gegessen, läßt Euch die alte Rosel gar nicht weiter, das ist gegen alle Sitte des Schlosses. Und den Herrn habt Ihr wahrscheinlich auch noch nicht begrüßt?“

Es war schon ein großer Gewinn für Mariens Sache, daß Georg sprach: „Ich habe ihn schon gesprochen, dort stehen noch die Becher, die wir zusammen leerten.“

„Nun?“ fuhr die Alte fort, „da werdet Ihr wohl noch nicht von ihm Abschied genommen haben?“

„Nein, ich sollte ihn im Schloß erwarten.“

„Ei, wer wird dann gehen wollen“, sagte sie und drängte ihn sanft in das Zimmer zurück, „das wär’ mir eine schöne Sitte. Der Herr könnte ja wunder meinen, was für einen sonderbaren Gast er beherbergte. Wer bei Tag kommt“, setzte sie mit einem stechenden Blick auf das Fräulein hinzu, „wer beim hellen Tag kommt, hat ein gut Gewissen und darf sich nicht wegschleichen wie der Dieb in der Nacht.

Marie errötete und drückte die Hand des Jünglings, und unwillkürlich mußte dieser lächeln, wenn er an den Irrtum der Alten dachte und die strafenden Blicke sah, die sie auf Marien warf.

„Ja, ja, wie ich sagte“, fuhr Frau Rosel fort, „braucht Euch nicht wegzustehlen wie der Dieb in der Nacht. Wäre vielleicht besser gewesen, Ihr wäret schon früher gekommen; im Sprichwort heißt es: ‚Sieh für dich, Irren ist mißlich‘ und ‚Wer will haben Ruh’, bleib bei seiner Kuh!‘ Aber ich will nichts gesagt haben.“

„Nun ja“, sagte Marie, „du siehst, er bleibt da; was willst du nur mit deinen Reden und Sprüchlein? Du weißt selbst, sie passen nicht immer.“

„So? aber bisweilen treffen sie doch einen, dem es nicht lieb ist; aber ‚Reu’ und guter Rat ist unnütz nach geschehener That.‘ Ich weiß schon, Undank ist der Welt Lohn, ich kann ja schweigen; ‚Wer will haben gute Ruh’, der seh’ und hör’ und schweig’ dazu.‘“

„Nun, so schweige immerhin“, entgegnete das Fräulein etwas gereizt, „übrigens wirst du wohlthun, wenn du den Vater nicht geradezu merken läßt, daß du Herrn von Sturmfeder schon kennst; es wäre möglich, er könnte glauben, er sei wegen uns nach Lichtenstein gekommen.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 260–261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_153.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)