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Nacht und an die Gefühle zurückdachte, die ihn zuerst vor diese Burg geführt hatten. Sein Auge suchte an den Fenstern umher, ob es nicht die Geliebte erspähe, sein Ohr schärfte sich, um vielleicht ihre Stimme zu vernehmen, wenn auch ihr Anblick ihm jetzt noch verborgen war. Aber umsonst suchten seine Blicke diese Mauern zu durchbohren, umsonst fing sein scharfes Ohr jeden Laut begierig auf, noch schien sie sich nicht zeigen zu wollen.

Sie gelangten jetzt an das innere Thor. Es war nach alter Art tief, stark gebaut und mit Fallgattern, Öffnungen für siedendes Öl und Wasser und allen jenen sinnreichen Verteidigungsmitteln versehen, womit man in den guten alten Zeiten den stürmenden Feind, wann er sich der Brücke bemeistert haben sollte, abhielt. Doch die ungeheuren Mauern und Befestigungen, die sich von dem Thor an rings um das Haus zogen, verdankte Lichtenstein nicht der Kunst allein, sondern auch der Natur; denn ganze Felsen waren in die Mauerlinie gezogen, und selbst der schöne, geräumige Pferdestall und die kühlen Kammern, die statt des Kellers dienten, waren in den Felsen eingehauen. Ein bequemer, gewundener Schneckengang führte in die oberen Teile des Hauses, und auch dort waren kriegerische Verteidigungen nicht vergessen; denn auf dem Vorplatz, der zu den Zimmern führte, wo in anderen Wohnungen häusliche Gerätschaften aufgestellt sind, waren hier furchtbare Doppelhaken und Kisten mit Stückkugeln aufgepflanzt. Das Auge des alten Ritters ruhte mit einem gewissen Ausdruck von Stolz auf diesem sonderbaren Hausrat, und in der That konnten diese Geschütze damals für ein Zeichen von Wohlhabenheit und selbst Reichtum gelten, denn nicht jeder Privatmann war im stande, seine Burg mit vier oder sechs solchen Stücken zu versehen.

Von hier ging es noch einmal aufwärts in den zweiten Stock, wo ein überaus schöner Saal, ringsum mit hellen Fenstern, den Ritter von Lichtenstein und seinen Gast aufnahm. Der Hausherr gab einem Diener, der ihnen gefolgt war, mehr durch Zeichen als Worte, einige Befehle, die ihn aus dem Saale entfernten.[Hauff 1]




[247]

VIII.


 „– Und der Graf, gerührt von solches
 Hohen Opfers hohem Geiste
 Bei der Freude süßer Regung,
 Kann der Freundschaft mildem Taue,
 Der durchs Herz ihm, der durchs Auge
 Schon ihm schleicht, nicht widerstehen.“
 P. Conz.[1]


Als die beiden Männer in dem weiten Saale von Lichtenstein allein waren, trat der Alte dicht vor Georg hin und schaute ihn an, als messe er prüfend seine Züge. Ein Strahl von Begeisterung und Freude drang aus seinen Augen, die Melancholie seiner Stirne war verschwunden, er war heiter, fröhlich sogar, wie der Vater, der einen Sohn empfängt, der von langen Reisen zurückkehrt. Endlich stahl sich eine Thräne aus seinem glänzenden Auge, aber es war eine Thräne der Freude, denn er zog den überraschten Jüngling an sein Herz.

„Ich pflege nicht weich zu sein“, sprach er nach dieser feierlichen Umarmung zu Georg, „aber solche Augenblicke überwinden die Natur, denn sie sind selten. Darf ich denn wirklich meinen alten Augen trauen? Trügen die Züge dieses Briefes nicht? Ist dieses Siegel echt und darf ich ihm glauben? doch – was zweifle ich! Hat nicht die Natur Euch ihr Siegel auf die freie Stirne gedrückt? Sind die Züge nicht echt, die sie auf den offenen Brief Eures Gesichtes geschrieben? Nein, Ihr könnet nicht täuschen – die Sache meines unglücklichen Herrn hat einen Freund gefunden?“

„Wenn Ihr die Sache des vertriebenen Herzogs meinet, so habt Ihr recht gesehen, sie hat einen warmen Anhänger gefunden. Der Ruf bezeichnete mir längst den Herrn von Lichtenstein als einen treuen Freund des Herzogs, und ich wäre vielleicht auch ohne den Rat jenes unglücklichen Mannes, der mich zu Euch schickte, gekommen, Euch zu besuchen.“

„Setzet Euch zu mir, junger Freund“, sagte der Alte, dessen Augen immer noch mit Liebe auf dem Jüngling zu ruhen schienen;


  1. Aus dem Gedicht: „Serlo. Historische Romanze.“ (Gedichte, neue Sammlung, 1824.)

Anmerkungen (Hauff)

  1. [298] Crusius beschreibt in seiner Chronik das Schlößchen Lichtenstein, wie wir es hier nacherzählen. Er sah es zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts, also etwa siebzig Jahre nach dem Jahr 1519. Dort findet sich auch die hieher gehörige Stelle: „Im oberen Stockwerk ist ein überaus schöner Saal, ringsum mit Fenstern, aus welchen man bis an den Asperg sehen kann: darin hat der vertriebene Fürst Ulerich von Württemberg öfter gewohnt, der des Nachts vor das Schloß kam und nur sagte: [299] ‚Der Mann ist da!‘ so wurde er eingelassen.“ Wo aber wohnte er den Tag über? wo hielt sich der Vertriebene auf? Die Frage lag sehr nahe. Jetzt ist in die Ruinen des alten Schlosses ein Jägerhaus erbaut, das noch immer den Namen des „Lichtensteiner Schlößleins“ trägt, und am fröhlichen Pfingstfest einer lebensfrohen Menge zum Tummelplatz dient.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 246–247. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_146.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)