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Rosses zurecht, während der Bauer diesem einige Händevoll Heu zum Morgenbrot reichte, und dann ging es weiter den Berg hinan. Sie waren noch wenige Schritte vorgerückt, als der Klang einer Glocke aus dem Thal herauf tönte, die feierliche Stille des Morgens unterbrach, eine andere antwortete, drei bis vier stimmten ein, bis die melodischen Töne von wenigstens zwölf Glocken von den Höhen umher und aus den Thälern aufstiegen. Überrascht hielt der junge Mann sein Pferd an. „Was ist das!“ rief er, „brennt es irgendwo, oder wie, sollten wir heute ein Fest im Kalender haben? Weiß Gott, ich bin durch meine Krankheit so aus aller Zeit herausgekommen, daß ich den Sonntag nur daran erkenne, daß die Mädchen neue Röcke und frische Schürzen anhaben.“

„Es ist wohl schon manchem Kriegsmann so gegangen“, antwortete Hans der Spielmann; „ich selbst habe mich oft erst auf die Zeit besinnen müssen, wenn ich wichtigere Dinge im Kopf hatte als Mess’ und Predigt; aber heute ist es ein anderes Ding“, setzte er ernster hinzu und schlug ein Kreuz, „heut’ ist Karfreitag. Gelobt sei Jesus Christus!“

„In Ewigkeit!“ erwiderte der Jüngling. „Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich den Tag nicht würdig begehe, wie ich soll; und dieser Tag erinnert mich an manche schöne Stunde meiner Kindheit. Damals lebte noch mein Vater; ich hatte eine sanfte, gute Mutter und ein ganz kleines Schwesterlein. Wir beide freuten uns immer, wenn der Karfreitag kam; wir wußten nichts von der Bedeutung des Tages, aber wir rechneten dann, daß es nur noch zwei Tage bis Ostern sei, wo uns die Mutter schöne Sachen bescherte. Requiescant in pace“, setzte er hinzu, indem er seitwärts blickte, um eine Thräne zu verbergen, „sie sind drüben alle drei und feiern dort ihren heiligen Freitag.“

„Man sollte nicht von so unheiligen Dingen sprechen“, sagte der Pfeifer nach einigem Stillschweigen, „aber mein Beichtiger mag es mir schon vergeben. Ich denke, Ihr solltet nicht traurig sein, Junker! Denen, die schlafen, ist es wohl, und die, die wachen, sollen vorwärts und nicht rückwärts sehen. So würde ich an Eurer Stelle daran denken, wie Ihr einst auch Euren Kindlein das Ostern bescheren könnet, und wie sie sich freuen werden am [243] Karfreitag. Seid Ihr nicht auf der Brautfahrt, und wird ein gewisses Fräulein nicht auch eine gute, sanfte Mutter werden?“

Georg suchte umsonst ein Lächeln zu unterdrücken, das dieser sonderbare Trostspruch hervorgelockt hatte; „Höre, guter Freund“, entgegnete er, „dir ist zur Not ein solches Wort erlaubt; doch möchte ich keinem andern raten, meine Ohren durch solche sündige Gedanken zu entweihen.“

„Nichts für ungut, Herr! ich wollte weder Euch noch das Fräulein damit beleidigen; soll auch nicht mehr geschehen. Aber sehet Ihr nicht dort schon den Turm aus den Wipfeln ragen? Noch eine kleine Viertelstunde, und wir sind oben.“

„Soviel ich gestern in der Nacht bemerken konnte, ist das Schloß auf einen einzelnen, jähen Felsen hinausgestellt? Bei Gott, ein kühner Gedanke, da konnte wohl niemand hinüberkommen, wer nicht mit den Geiern im Bunde war und fliegen gelernt hatte; freilich, jetzt könnte man mit Stückschüssen sehr zusetzen.“

„Meint Ihr? Nun, es stehen auch vier gute Doppelhaken in der Halle, die auch ein Wörtchen antworten würden. Wenn Ihr recht gesehen habt, so müßt Ihr bemerkt haben, daß der Felsen ringsum durch ein breites Thal von den Bergen umher gesondert ist, dorther könnte man nicht viel Schaden thun; die einzige Seite, die näher an dem Berge liegt, ist die, wo die Zugbrücke herübergeht. Pflanzet einmal dort Geschütz auf und sehet zu, ob es Euch der Lichtensteiner nicht in den Grund schießt, ehe Ihr nur ein Fenster aufs Korn genommen habt. Und wie wollet Ihr Geschütz heraufführen in diesen Schluchten und Bergen, ohne daß Euch wenige entschlossene Männer mehr Schaden thun, als das ganze Nest wert ist?“

„Da habt Ihr recht“, antwortete Georg, „ich möchte wissen, wer den Gedanken gehabt hat, auf den Felsen ein Schloß zu bauen.“

„Das will ich Euch sagen“, erwiderte der Spielmann, der mit allen Sagen seines Landes vertraut war; „es lebte einmal vor vielen Jahren eine Frau, die mußte viele Verfolgung dulden und wußte sich nicht mehr zu raten. Da kam sie an diesen Felsen und sah, wie ein großer Geier mit seiner Familie und allem Haushalt dort lebte und gegen alle Nachstellung sicher war. Da beschloß

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 242–243. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_144.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)