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Georg, „aber Ihr werdet mir schon ein freies Wort gestatten. Sehet, der Herzog hat manches gethan, was nicht recht ist; zum Beispiel die Huttische Geschichte, sie mag nun sein, wie sie will, hätte er unterlassen können; sodann mag er mit seiner Frau hart umgegangen sein, und Ihr müßt selbst gestehen, er ließ sich doch zu sehr vom Zorn bemeistern, als er Reutlingen sich unterwarf –“

Er hielt inn’, als erwarte er die Antwort des Ritters, doch dieser schlug die Augen nieder und winkte schweigend dem jungen Mann, fortzufahren: „Nun, so dachte ich von dem Herzog, als ich bündisch wurde, so und nur etwas stärker sprach man von ihm im Heere; aber eine große Fürsprecherin hatte er an Marien, und es ist Euch vielleicht bekannt, daß ich mich auf ihr Zureden lossagte; nun bekamen die Sachen bald eine andere Gestalt in meinen Augen, sei es, weil ich von Natur mitleidig bin und niemand ungerecht mißhandeln sehen kann, oder auch, weil ich die Absichten der Bündischen besser durchschaute, – ich sah, daß dem Herzog zu viel geschehe, denn der Bund hatte offenbar kein Recht, den Herzog aus allen seinen Besitzungen und sogar von seinem Fürstenstuhl zu vertreiben und ihn ins Elend zu jagen. Und da gewann der Herzog wieder in meinen Augen; er hätte ja vielleicht noch eine Schlacht wagen können, aber er wollte nicht das Blut seiner Württemberger auf ein so gewagtes Spiel setzen; er hätte können den Leuten Geld abpressen und die Schweizer damit halten, aber er war größer als sein Unglück, und sehet – das hat mich zu seinem Freunde gemacht.“

Der Ritter schlug die Augen auf, seine Brust schien höher zu schlagen, seine edle Gestalt richtete sich stolzer empor, er sah Georg lange an und drückte seine Hand an sein pochendes Herz. „Wahrlich“, sagte er, „es lebt eine heilige, reine Stimme in dir, junger Freund! ich kenne den Herzog wie mich selbst, aber ich darf sagen, wie du sagtest, er ist größer als sein Unglück und – besser, als der Ruf von ihm sagt. Aber er hat wenige gefunden, die ihm Probe gehalten haben! Ach, daß er nur hundert gehabt hätte, wie du bist, und es hätte kein Fetzen der bündischen Paniere auf einer württembergischen Zinne geweht. Daß du sein Freund werden könntest! Doch es sei ferne von mir, dich einzuladen, sein Unglück [233] mit ihm zu teilen, es ist genug, daß deine Klinge und ein Arm wie der deinige nicht mehr seinen Feinden gehört; mögen deine Tage heiterer sein als die seinigen, möge der Himmel dir deine guten Gesinnungen gegen einen Unglücklichen belohnen.“

Es wehte ein Geist in den Worten des geächteten Ritters, der manch’ verwandte Saite in dem Herzen des Jünglings anschlug. War es die Anerkennung seines persönlichen Wertes, der ihm aus dem Munde eines Tapferen so ermunternd klang, war es die Ähnlichkeit des Schicksales dieses Unglücklichen mit seiner eigenen Armut und dem Unglück seines Hauses, war es die romantische Idee nicht für das siegende Unrecht, sondern für die gerechte Sache, gerade weil sie im tiefsten Unglück war, sich zu erklären. – Georg fühlte sich unwiderstehlich zu diesem geächteten Mann, zu der Sache, für die er litt, hingezogen, begeistert faßte er seine Hand und rief: „Es spreche mir keiner von Vorsicht, nenne es keiner Thorheit, sich an das Unglück anzuschließen! Mögen andere dieses schöne Land dort oben teilen und in den Gütern des unglücklichsten Fürsten schwelgen – ich fühle Mut in mir, mit ihm zu tragen, was er trägt, und wenn er sein Schwert zieht, seine Lande wiederzuerobern, so will ich der erste sein, der sich an seine Seite stellt. Nehmt meinen Handschlag, Herr Ritter, ich bin, wie es auch komme, Ulerichs Freund für immer!“

Eine Thräne glänzte in dem Auge des Geächteten, indem er den Handschlag zurückgab. „Du wagst viel, aber du bist viel, wenn du Ulerichs Freund bist. Das Land da oben gehört jetzt den Räubern und Dieben, aber hier unten ist noch gut Württemberg. Hier vor mir sitzt der Ritter und der Bürger, vergesset einen Augenblick, daß ich ein armer Ritter und ein unglücklicher geächteter Mann bin, und denket ich sei Fürst des Landes, wie ich der Herr der Höhle bin. Ha! noch gibt es ein Württemberg, wo diese drei zusammenhalten, und sei es auch tief im Schoß der Erde. Fülle den Becher, Hans, und lege deine rauhe Hand in die unsrigen, wir wollen den Bund besiegeln!“

Hans ergriff den vollen Krug und füllte den Becher. „Trinkt, edle Herren, trinkt“, sagte er, „ihr könnet euch in keinem edleren Wein Bescheid thun als in diesem Uhlbacher.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 232–233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)