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sein Lied? Wir wollen warten und lauschen, bis er zu Ende ist, denn er war nicht gewohnt, unterbrochen zu werden, als er noch oben auf der Erde war.“

Die Männer lauschten und verstanden durch das Echo und das Gemurmel der Wasser etwa folgende Worte, die der Geächtete sang:

„Vom Turme, wo ich oft gesehen
Hernieder auf ein schönes Land,
Vom Turme fremde Fahnen wehen,
Wo meiner Ahnen Banner stand.
Der Väter Hallen sind gebrochen,
Gefallen ist des Enkels Los,
Er birgt besiegt und ungerochen
Sich in der Erde tiefem Schoß.

Und wo einst in des Glückes Tagen
Mein Jagdhorn tönte durchs Gefild,
Da meine Feinde gräßlich jagen,
Sie hetzen gar ein edles Wild.
Ich bin das Wild, auf das sie birschen,
Die Bluthund’ wetzen schon den Zahn,
Sie dürsten nach dem Schweiß des Hirschen,
Und sein Geweih[Hauff 1] steht ihnen an.

Die Mörder han in Berg und Heide
Auf mich die Armbrust aufgespannt,
Drum in des Bettlers rauhem Kleide
Durchschleich’ ich nachts mein eigen Land;
Wo ich als Herr sonst eingeritten,
Und meinen hohen Gruß entbot,
Da klopf’ ich schüchtern an die Hütten
Und bettle um ein Stückchen Brot.

Ihr warft mich aus den eignen Thoren,
Doch einmal klopf’ ich wieder an,
Drum Mut! noch ist nicht all’ verloren,
Ich hab’ ein Schwert und bin ein Mann. [227]
Ich wanke nicht; ich will es tragen,
Und ob mein Herz darüber bricht,
So sollen meine Feinde sagen:
Er war ein Mann und wankte nicht.“

Er hatte geendet, und der tiefe Seufzer, den er den verhallenden Tönen seines Liedes nachsandte, ließ ahnen, daß er im Gesang nicht viel Trost gefunden habe. Dem rauhen Manne von Hardt war während dem Liede eine große Thräne über die gebräunte Wange gerollt, und Georg war es nicht entgangen, wie er sich anstrengte, die alte feste Fassung wieder zu erhalten und dem Bewohner der Höhle eine heitere Stirne und ein ungetrübtes Auge zu zeigen. Er gab dem Junker auch die zweite Fackel in die Hand und klimmte den glatten schlüpfrigen Felsen hinan, der zu der Grotte führte, woraus der Gesang erklungen war. Georg dachte sich, daß er ihn vielleicht dem Ritter melden wolle, und bald sah er ihn mit einem tüchtigen Strick zurückkehren. Er klimmte die Hälfte des Felsen wieder herab und ließ sich die Fackeln geben, die er geschickt in eine Felsenritze an der Seite steckte; dann warf er Georg den Strick zu und half ihm so die Felsenwand erklimmen, was ihm ohne diese Hülfe schwerlich gelungen wäre. Er war oben, und wenige Schritte noch, so stand er vor dem Felsengemach des Geächteten.[Hauff 2]





VI.


 „– In wunderbaren Gestalten
 Ragt aus der dunkeln Nacht das angestrahlte Gestein,
 Mit wildem Gebüsch versetzt, das aus den schwarzen Spalten
 Herabnickt und im Widerschein
 Als grünes Feuer brennt. Mit Furcht vermengtem Grauen
 Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.“
 Wieland.[1]


Der Teil jener großen Höhle, welchen sie jetzt betraten, unterschied sich merklich von den übrigen Grotten und Kammern. Er war von Sandstein und hatte, weil dieser Stein die Feuchtigkeit einschluckt,


  1. „Oberon“, 1. Gesang, 18. Strophe.

Anmerkungen (Hauff)

  1. Wahrscheinlich Anspielung auf das Wappen von Württemberg. Vergl. Anmerkung (9).
  2. [298] Diese merkwürdige Höhle haben wir nach der Natur zu zeichnen versucht. Es bleibt noch übrig, hier einige Notizen über ihre inneren Verhältnisse zu geben. Die Vorhöhle beträgt etwas über 150 Fuß im Umfange, von hier aus laufen zwei Gänge nach verschiedenen Richtungen, die aber nach einer Länge von beinahe 200 Fuß wieder zusammentreffen. Auf diesen Wegen trifft man zwei Felsensäle, den einen von 100, den andern von 82 Fuß Länge. Wo diese Gänge sich vereinigen, bilden sie wieder eine Grotte; von hier aus rechts gegen Norden, mehr in der Höhe, liegt wieder eine kleinere Kammer, es ist die, in welche wir den Leser zu dem vertriebenen Mann geführt haben. Die weiteste Entfernung vom Eingang der Höhle bis zu ihrem Ende beträgt 577 Fuß. Man vergleiche hierüber die so interessante als getreue Beschreibung der Schwäbischen Alb von G. Schwab. (Metzler. Buchhandlung, 1823.)
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 226–227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_136.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)