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Weibern in Gefangenschaft halten lassen sollen, daß ich deine Verräterei hier nicht sehe? Erbärmlicher Betrüger. Und Ihr“, wandte er sich zu dem andern, „wenn Ihr ein Mann von Ehre seid, so steht mir und fallet nicht zu zwei über einen her; wenn Ihr wißt, daß ich Georg von Sturmfeder bin, so mögen Euch meine früheren Ansprüche auf das Fräulein nicht unbekannt sein, und mit Euch mich zu messen, bin ich hieher gekommen. Darum befehlet diesem Schurken, daß er mir mein Schwert wiedergebe, und laßt uns ehrlich fechten, wie es Männern geziemt.“

„Ihr seid Georg von Sturmfeder?“ sprach jener mit freundlicher Stimme und trat näher zu ihm. „Es scheint mir, Ihr seid etwas im Irrtum hier. Glaubet mir, ich bin Euch sehr gewogen und hätte Euch längst gerne gesehen. Nehmet das Ehrenwort eines Mannes, daß mich nicht die Absichten in jenes Schloß führen, die Ihr mir unterleget, und seid mein Freund.“

Er bot dem überraschten Jüngling die Hand unter dem Mantel hervor, doch dieser zauderte; die gewichtigen Hiebe dieses Mannes hatten ihm zwar gesagt, daß er ein Ehrenwerter und Tapferer sei, darum konnte und mußte er seinen Worten trauen; aber sein Gemüt war noch so verwirrt von allem, was er gehört und gesehen, daß er ungewiß war, ob er den Handschlag dessen, den er noch vor einem Augenblick als seinen bittersten Feind angesehen hatte, empfangen sollte oder nicht? „Wer ist es, der mir die Hand beut?“ fragte er; „ich habe Euch meinen Namen genannt und könnte wohl billigerweise dasselbe von Euch verlangen.“

Der Unbekannte schlug den Mantel auseinander, schob das Barett zurück, und der Mond beleuchtete ein Gesicht voll Würde, und Georg begegnete einem glänzenden Auge, das den Ausdruck gebietender Hoheit trug: „Fraget nicht nach Namen“, sprach er, indem ein Zug von Wehmut um seinen Mund blitzte, „ich bin ein Mann, und dies mag Euch genug sein; wohl führte auch ich einst einen Namen in der Welt, der sich mit dem ehrenwertesten messen konnte, wohl trug auch ich die goldenen Sporen und den wallenden Helmbusch, und auf den Ruf meines Hüfthorns lauschten viele hundert Knechte, er ist verklungen. Aber eines ist mir [219] geblieben“, setzte er mit unbeschreiblicher Hoheit hinzu, indem er die Hand des jungen Mannes fester drückte, „ich bin ein Mann und trage ein Schwert:

Si fractus illabatur orbis
Impavidum ferient ruinae.“
[1]

Er drückte das Barett wieder in die Stirne, zog seinen Mantel hoch herauf und ging vorüber in den Wald.

Georg stand in stummem Erstaunen auf sein Schwert gestützt. Der Anblick dieses Mannes – es war ihm unbegreiflich – hatte alle Gedanken der Rache in seinem Herzen ausgelöscht. Dieser gebietende Blick, dieser gewinnende, wohlwollende Zug um den Mund, das tapfere, gewaltige Wesen dieses Mannes erfüllten seine Seele mit Staunen, mit Achtung, mit Beschämung. Er hatte geschworen, mit Marien in keiner Berührung zu stehen, er hatte es bekräftigt mit jener tapfern Rechten, die noch eben die gewichtige Klinge leicht wie ein Spiel geführt hatte; er hatte es bestätigt mit einem jener Blicke, deren Strahl Georg wie den der Sonne nicht zu ertragen vermochte, eine Bergeslast wälzte sich von seiner Brust, denn er glaubte, er mußte glauben.

Wenn man bedenkt, wie sehr zu jener Zeit körperliche Eigenschaften gewogen und angeschlagen wurden, wie man Tapferkeit auch an dem Feinde hochschätzte und achtete, wie das Wort eines anerkannt tapferen Mannes so fest stand wie der Schwur auf die Hostie, wenn man ferner bedenkt, wie groß die Wirkung eines anmutigen oder aber eines imponierenden Äußern auf ein jugendliches Gemüt ist, so wird man sich über die Veränderung nicht zu sehr wundern, welche in diesen kurzen Augenblicken mit der Gesinnung des Jünglings vorging.

„Wer ist dieser Mann?“ fragte Georg den Pfeifer, der noch immer neben ihm stand.

„Ihr hörtet ja, daß er keinen Namen hat, und auch ich weiß ihn nicht zu nennen!“

„Du wüßtest nicht, wer er sei?“ entgegnete Georg; „und doch


  1. Wenn der Erdkreis zusammenbräche, so werden doch die Ruinen einen Furchtlosen niederschlagen. Horaz, Oden III, 3. 7–8.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 218–219. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)