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gewöhnt hat, den Menschen a priori zu mißtrauen, wo aber ein solcher Fall um so überraschender ist, um so gefährlicher wirkt, eben weil das arglose Herz ihn nie gedacht hat. Da kocht das Gefühl der gekränkten Treue, da braust der Stolz auf, der sich beleidigt dünkt; den prüfenden Verstand, der das Falsche vom Rechten zu sondern pflegt, umziehen trübe, düstre Wolken und verhüllen ihm das Wahre; ein Wörtchen Wahrscheinlichkeit in einem Gewebe von Lüge überzeugt ihn; die Sonne der Liebe sinkt hinab, und es wird Nacht in der Seele. Dann schleichen sich jene nächtlichen Gesellen: Verachtung, Wut, Rache, in das von allen guten Engeln verlassene Herz, und die unendliche Stufenleiter der Empfindungen, welche von Liebe zu Haß führt, hat die Eifersucht in wenigen Augenblicken zurückgelegt.

Georg war auf jener Stufe der düsteren, stillen Wut und der Rache angekommen; über diese Empfindungen brütend, saß er unempfindlich gegen die Kälte der Nacht auf dem bemoosten Stein, und sein einziger, immer wiederkehrender Gedanke war, den nächtlichen Freund „zu stellen und ein Wort mit ihm zu sprechen“.

Es schlug zwei Uhr in einem Dorf über dem Walde, als er sah, daß sich Lichter an den Fenstern des Schlosses hin bewegten, erwartungsvoll pochte sein Herz, krampfhaft hatte seine Hand den langen Griff des Schwertes umfaßt. Jetzt wurden die Lichter hinter den Gittern des Thores sichtbar, Hunde schlugen an, Georg sprang auf und warf den Mantel zurück. Er hörte, wie eine tiefe Stimme ein vernehmliches „Gute Nacht“ sprach. Die Zugbrücke rauschte nieder und legte sich über den Abgrund, der das Land von Lichtenstein scheidet, das Thor ging auf, und ein Mann, den Hut tief ins Gesicht gedrückt, den dunkeln Mantel fest umgezogen, schritt über die Brücke und gerade auf den Ort zu, wo Georg Wache hielt.

Er war noch wenige Schritte entfernt, als dieser mit einem dröhnenden: „Zieh’ Verräter, und wehr’ dich deines Lebens“ auf ihn einstürzte; der Mann im Mantel trat zurück und zog; im Augenblick begegneten sich die blitzenden Klingen und rasselten klirrend aneinander.

[217] „Lebendig sollst du mich nicht haben“, rief der andere, „wenigstens will ich mein Leben teuer genug bezahlen!“ Zugleich sah ihn Georg tapfer auf sich eindringen, und an den schnellen und gewichtigen Hieben merkte er, daß er keinen zu verachtenden Gegner vor der Klinge habe. Georg war kein ungeübter Fechter, und er hatte manch ernstlichen Kampf mit Ehre ausgefochten, aber hier hatte er seinen Mann gefunden. Er fühlte, daß er sich bald auf die eigene Verteidigung beschränken müsse, und wollte eben zu einem letzten gewaltigen Stoß ausfallen, als plötzlich sein Arm mit ungeheurer Gewalt festgehalten wurde; sein Schwert wurde ihm in demselben Augenblicke aus der Hand gewunden, zwei mächtige Arme schlangen sich um seinen Leib und fesselten ihn regungslos, und eine furchtbare Stimme schrie: „Stoßt zu, Herr, ein solcher Meuchelmörder verdient nicht, daß er noch einen Augenblick zum letzten Paternoster habe!“

„Das kannst du verrichten, Hans“, sprach der im Mantel, „ich stoße keinen Wehrlosen nieder; dort ist sein Schwert, schlag ihn tot, aber mach’ es kurz.“

„Warum wollt Ihr mich nicht lieber selbst umbringen, Herr!“ sagte Georg mit fester Stimme; „Ihr habt mir meine Liebe gestohlen, was liegt an meinem Leben?“

„Was habe ich?“ fragte jener und trat näher.

„Was Teufel ist das für eine Stimme?“ sprach der Mann, der ihn noch immer umschlungen hielt; „die sollte ich kennen!“ Er drehte den jungen Mann in seinen Armen um, und wie von einem Blitz getroffen, zog er die Hände von ihm ab: „Jesus, Maria und Joseph! da hätten wir bald etwas Schönes gemacht! aber welcher Unstern führt Euch auch gerade hieher, Junker? was denken auch meine Leute, daß sie Euch fortlassen, ohne daß ich dabei bin!“

Es war der Pfeifer von Hardt, der Georg also anredete und ihm die Hand zum Gruß bot; dieser aber schien nicht geneigt, dieses freundschaftliche Zeichen einem Manne zu erwidern, der noch soeben das Handwerk des Henkers an ihm verrichten wollte; wild blickte er bald den Mann im Mantel, bald den Pfeifer an. „Meinst du“, sagte er zu diesem, „ich hätte mich von deinen

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 216–217. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_131.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)