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und die erstarrenden Lippen hatten noch einmal einen süßen Namen ausgesprochen.

Aber jetzt war die Leuchte verlöscht, die seinen Pfad durchs Leben erhellt hatte. Es war ihm, als habe er nur noch einen kurzen Weg im Dunkeln hinzugehen, und dann in lichteren Höhen als auf dem Lichtenstein seine Ruhe zu finden; und unwillkürlich zuckte seine Rechte hie und da ans Schwert, als wolle er sich versichern, daß ihm dieser Gefährte wenigstens treu geblieben sei, als sei dies der gewichtige Schlüssel, der die Pforte sprengen sollte, die aus dem Dunkel zum Lichte führt.

Der Wald hatte längst die Wanderer aufgenommen; steiler wurden die Pfade, und das Roß strebte mühsam unter der Last des Reiters und seiner Rüstung bergan; doch der Reiter bemerkte es nicht. Die Nachtluft wehte kühler und spielte mit den langen Haaren des Jünglings, er fühlte es nicht; der Mond kam herauf und beleuchtete seinen Pfad, beleuchtete kühne Felsenmassen und die hohen, gewaltigen Eichen, unter welchen er hinzog, er sah es nicht; unbemerkt von ihm rauschte der Strom der Zeit an ihnen vorüber, Stunde um Stunde verging, ohne daß ihm der Weg lang bedünkte.

Es war Mitternacht, als sie auf der höchsten Höhe ankamen. Sie traten heraus aus dem Wald, und getrennt durch eine weite Kluft von der übrigen Erde lag auf einem einzelnen, senkrecht aus der nächtlichen Tiefe aufsteigenden Felsen der Lichtenstein.

Seine weißen Mauern, seine zackigten Felsen schimmerten im Mondlicht, es war, als schlummere das Schlößchen, abgeschieden von der Welt im tiefen Frieden der Einsamkeit.

Der Ritter warf einen düsteren Blick dorthin und sprang ab. Er band das Pferd an einen Baum und setzte sich auf einen bemoosten Stein gegenüber von der Burg. Der Knecht stand erwartend, was sich weiter begeben werde, und fragte mehreremal vergeblich, ob er seines Dienstes jetzt entlassen sei?

„Wie weit ist’s noch bis zum ersten Hahnenschrei?“ fragte endlich der stumme Mann auf dem Steine.

„Zwei Stunden, Herr!“ war die Antwort des Knechtes.

Der Ritter reichte ihm reichlichen Lohn für sein Geleite und [215] winkte ihm, zu gehen. Er zögerte, als scheue er sich, den jungen Mann in diesem unglücklichen Zustand zu verlassen; als aber jener ungeduldig seinen Wink wiederholte, entfernte er sich stille; nur einmal noch sah er sich um, ehe er in den Wald eintrat, der schweigende Gast saß noch immer, die Stirne in die Hand gestützt, im Schatten einer Eiche auf dem bemoosten Stein.





V.


 „Durch diese hohle Gasse muß er kommen,
 Es führt kein andrer Weg nach Küßnacht,
 Hier vollend’ ich’s – die Gelegenheit ist günstig.“
 Schiller.[1]


Man hat zu allen Zeiten viel Schönes und Wahres über die Thorheit der Eifersucht geschrieben, und dennoch sind die Menschen seit Urias Zeiten darin nicht weiser geworden. Leute von überaus kühler Konstitution werden zwar sagen, wenn jener berühmte jüdische Hauptmann nicht die Thorheit begangen hätte, seine schöne Frau nur für sich allein haben zu wollen oder gar auf den König David eifersüchtig zu werden, so wäre der berüchtigte Uriasbrief nie geschrieben worden, und besagter Hauptmann hätte es vielleicht noch weit im Dienste bringen können[2]. Andere aber, denen die Natur heißes Blut und einen Stolz, ein Gefühl der Ehre gegeben hat, das durch Hintansetzung oder Treuebruch leicht aufgeregt und beleidigt wird, werden beim eintretenden Falle jenem unglücklichen Übel unterliegen, wenn sie auch mit allen Beweisgründen der kälteren Vernunft sich selbst die Thorheit ihres Beginnens vorpredigen.

Georg von Sturmfeder war nicht von so kühlem Blute, daß ihn die Nachricht, die er heute erhielt, nicht aus allen Schranken der Billigkeit und Mäßigung herausgejagt hätte; er war überdies in einem Alter, wo zwar die offene Seele sich noch nicht daran


  1. „Tell“, 4. Aufzug, 3. Szene.
  2. Vgl. 2. Sam. 11.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 214–215. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_130.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)