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„Daß ihm der Satan den Bart Haar für Haar auszwicke“, murmelte Georg und strich mit der Hand über das Kinn, das noch ziemlich glatt war. „Frau! besinnt Euch, habt Ihr denn dies alles so recht gehört von der Frau Rosel? Hat sie dies alles so gesagt? Machet Ihr nicht noch mehr dazu?“

„Gott bewahre mich, daß ich über jemand lästere! Da kennt Ihr mich schlecht, Herr Ritter! Das alles hat mir Frau Rosel gesagt, und noch mehr hat sie vermutet und mir ins Ohr geflüstert, was eine ehrliche Frau einem schönen jungen Herrn nicht wiedersagen kann. Und denket Euch, wie recht schlecht das Fräulein ist, sie hat noch einen andern Liebhaber gehabt, und dem ist sie also untreu geworden!“

„Noch einen?“ fragte Georg aufmerksam, denn die Erzählung schien ihm mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit zuzunehmen.

„Ja, noch einen; es soll ein gar schöner, lieber Herr sein, sagte mir die Rosel; sie war mit dem Fräulein einige Zeit in Tübingen, und da war ein Herr von – von – ich glaube Sturmfittich heißt er – der war auf der hohen Schule; und da lernten sich die beiden Leutchen kennen, und die Amme schwört, es sei nie ein schmuckeres Paar erfunden worden im ganzen Schwabenland. Sie hat ihn auch ganz schrecklich lieb gehabt, das ist wahr und sei sehr traurig gewesen um ihn, als sie von Tübingen ging; nun ist sie dem armen Jungen untreu geworden, das falsche Herz; und die Amme heult, wenn sie nur an den schönen, treuen Herrn denkt, er soll noch viel, viel schöner gewesen sein als der, den sie jetzt hat.“

„Frau Wirtin, wie oft lasset Ihr mich denn klopfen, bis ich einen vollen Becher bekomme“, rief der fette Herr aus der Trinkstube herauf; denn die Frau Wirtin hatte über ihrer Erzählung alles übrige vergessen.

„Gleich, gleich!“ antwortete sie und flog an den Schenktisch hin, den durstigen Herrn mit seiner besseren Sorte zu versehen; und von da ging es zum Keller, und Boden und Küche nahmen sie in Anspruch, so daß der Gast im Erker gute Weile hatte, einsam über das, was er gehört hatte, nachzusinnen.

Den Kopf auf die Hand gestützt, saß er da und schaute unverrückt in die Tiefe seines silbernen Bechers, so saß er am Nachmittag, [211] so saß er am Abend, die Nacht war schon lange eingebrochen, und er saß noch immer so hinter dem runden Tisch im Erker, tot für die Welt umher, nur hin und wieder verriet ein tiefes Seufzen, daß noch Leben und Empfindung in ihm sei. Die Wirtin wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte; sie hatte sich wenigstens zehnmal neben ihn gesetzt; hatte versucht, mit ihm zu sprechen, aber er hatte ihr gedankenlos mit starren Augen ins Gesicht geschaut und nichts geantwortet; es war ihr ganz angst dabei geworden, denn gerade so hatte sie ihr seliger Mann angestarrt, als er das Zeitliche gesegnete und ihr den Goldenen Hirsch hinterließ.

Sie beriet sich mit dem fetten Herrn, und auch der Mann mit dem Lederrücken gab seine Meinung preis. Die Wirtin behauptete, entweder sei er verliebt bis über die Ohren, oder man habe es ihm angethan. Sie belegte ihre Behauptungen mit einer schrecklichen Geschichte von einem jungen Ritter, den sie gesehen, und der auch aus lauter Liebe am ganzen Leib erstarrt sei, bis er am Ende gestorben.

Der Zerlumpte war nicht dieser Meinung; er glaubte, dem jungen Mann sei vielleicht ein Unglück geschehen, wie jetzt oft im Krieg vorkomme, und er sei deswegen in so tiefe Trauer versenkt. Der fette Herr aber blinzelte einigemal nach dem stummen Gast im Erker hinauf und fragte dann mit sehr pfiffiger Miene, von welchem Gewächs und Jahrgang der Ritter trinke?

„Nun, ich hab’ ihm Heppacher gegeben von 1480. Es ist das Beste, was der Goldene Hirsch hat.“

„Da haben wir es!“ rief der kluge Mann, „ich kenn’ den Heppacher Achz’ger, den kann solch ein Junkerlein nicht führen, und der ist ihm zu Kopf gestiegen. Laßt ihn sitzen, laßt ihn immer sitzen, seinen schweren Kopf in der Hand, ich wette, ehe es acht Uhr schlägt, hat er ausgeschlafen und ist wieder so frisch wie der Fisch im Wasser.“

Der Zerlumpte schüttelte den Kopf und sagte nichts dazu, die Wirtin aber belobte den gewohnten Scharfsinn des fetten Herrn und fand seine Vermutung am wahrscheinlichsten.

Es war neun Uhr in der Nacht, die täglichen Zechgäste hatten schon alle die Trinkstube verlassen, und auch die Wirtin wollte

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 210–211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)