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und bringt den Schlüssel zur Zugbrücke, den sie zuvor ihrem alten Vater vom Bette stiehlt; dann schließt der alte Sünder, der Burgwart, auf, die Brücke fällt nieder, und der Mann im grauen Mantel eilt in die Arme des Fräuleins.“

„Und dann?“ fragte Georg, der beinahe keinen Atem mehr in der Brust, kein Blut mehr in den Wangen hatte, „und dann?“

„Ja, dann wird Braten, Brot und Wein geholt; so viel ist gewiß, daß der nächtliche Liebste einen ungeheuren Hunger haben muß, denn er hat in mancher Nacht einen halben Rehziemer rein aufgezehrt und zwei, drei Nößel Wein dazu getrunken; was weiter geschieht, weiß ich nicht; ich will nichts vermuten, nichts sagen, aber das weiß ich“, setzte sie mit einem christlichen Blick gen Himmel hinzu, „beten werden sie nicht.“

Georg schalt sich nach kurzem Nachdenken selbst aus, daß er nur einen Augenblick gezweifelt habe, daß diese Erzählung eine Lüge, von irgend einem müßigen Kopf ersonnen sei; oder wenn etwas Wahres darin wäre, so konnte es doch nichts sein, das Marien zur Unehre gereicht hätte.

Wenn es wahr ist, daß die Liebe eines Jünglings in den guten alten Zeiten zwar nicht weniger leidenschaftlich war, als in unseren Tagen, aber mehr den Charakter reiner, anbetender Ehrfurcht trug, daß nach der Sitte der Zeit die Geliebte nicht auf gleicher Stufe mit ihrem Verehrer, sondern um eine höher stand, wenn wir den romantischen Erzählungen alter Chroniken und Minnebücher trauen dürfen, die so viele Beispiele aufführen, daß sich edle Männer, wenn sie in Liebe sind, für die Treue und Reinheit ihrer Dame auf der Stelle totschlagen lassen, so ist es nicht zu verwundern, daß Georg von Sturmfeder wenigstens auf diese Indizien hin von Marien nichts Schlechtes denken konnte. So rätselhaft ihm selbst jene nächtlichen Besuche vorkommen mochten, so sah er doch klar, es sei weder bewiesen, daß der Vater nichts darum wisse, noch daß der geheimnisvolle Mann gerade ein Liebhaber sein müsse. Er trug diese Zweifel auch seiner Wirtin vor.

„So? meint Ihr, der Vater wisse um die Geschichte?“ sprach sie; „dem ist nicht so. Sehet, ich weiß das gewiß, denn die alte Rosel, die Amme des Fräuleins –“

[209] „Die alte Rosel hat es gesagt?“ rief Georg unwillkürlich; ihm war ja diese Amme, die Schwester des Pfeifers von Hardt, so wohlbekannt; freilich, wenn diese es gesagt hatte, war die Sache nicht mehr so zweifelhaft; denn er wußte, daß sie eine fromme Frau und dem Fräulein sehr zugethan war.

„Ihr kennt die alte Rosel?“ fragte die Wirtin, erstaunt über den Eifer, womit ihr fremder Gast nach dieser Frau fragte.

„Ich? sie kennen? nein, erinnert Euch nur, daß ich heute zum erstenmal in diese Gegenden komme; nur der Name Rosel fiel mir auf.“

„Sagt man bei Euch nicht so? Rosel heißt Rosina bei uns, und so nennt man die alte Amme in Lichtenstein; nun seht, diese hält viel auf mich und kommt hie und da zu mir, dann koche ich ein süßes Weinmüschen, was sie für ihr Leben gerne ißt, und zum Dank vertraut sie mir allerlei Neues. Von ihr habe ich auch, was ich Euch sagte. Der Vater weiß gar nichts von diesen nächtlichen Besuchen, denn er geht schon um acht Uhr zu Bette, die Amme schickte das Fräulein jedesmal um acht Uhr in ihre Kammer. Das fiel nun nach ein paar Tagen der guten Rosel auf. Sie stellt sich, als gehe sie zu Bette, und siehe da, was geschieht? Kaum ist alles ruhig im Schloß, so macht das Fräulein, das sonst keinen Span anrührt, eigenhändig ein Feuer auf den Herd; kocht und bratet, was sie kann und weiß, holt Wein aus dem Keller, holt Brot aus dem Schrank und deckt in der Herrenstube den Tisch. Dann schaut sie zum Fenster hinaus in die kalte, schwarze Nacht, und richtig, wenn es drüben eilf Uhr schlägt, rasselt die Zugbrücke nieder, der nächtliche Geselle wird eingelassen und geht mit dem Fräulein in die Herrenstube; sie hat auch schon gehorcht, die Rosel, was wohl drinnen vorgehe, aber die eichenen Thüren sind gar dick; dann lugte sie auch einmal durchs Schlüsselloch, sah aber nichts als den Kopf des Fremden.“

„Nun, und ist er schon alt? Wie sieht er aus?“

„Alt? wo denket Ihr hin! Die sieht mir auch darnach aus, daß sie es mit einem Alten hätte! Jung ist er und schön, wie mir die Rosel sagt; er hat einen dunkeln Bart um Mund und Kinn, schönes gerolltes Haar auf dem Kopf und sah recht freundlich und liebreich aus.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 208–209. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_127.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)