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das eine Thor gesetzt und sich mit der Besatzung über die Übergabe besprochen. Da seien alle Knechte zu diesem Thor geeilt und haben zugehört, und indessen sei das andere Thor von den Feinden bestiegen worden. Im Schloß Urach aber seien vierhundert herzogliche Fußknechte gewesen; diese habe die Bürgerschaft nicht in die Stadt lassen wollen, als der Feind anrückte. Es sei zum Gefecht zwischen ihnen gekommen, worin die Knechte auf den Markt gedrungen seien, dort aber sei der Vogt von einer Kugel getroffen und nachher mit Hellebarden niedergestoßen worden; die Stadt habe sich dem Bunde ergeben. „Es ist koi Wunder“, schloß die runde Frau ihre Erzählung, „älle Burga und Schlösser nemmet se ei; denn se hent lange Feldschlanga und Bombardierstuck, wo se Kugla draus schießet, graißer als mei Kopf, daß älle Maura zema brecha, und älle Tirn eifalle müaßet.“

Georg konnte nach diesem Bericht ahnen, daß eine Reise von Hardt nach Lichtenstein nicht minder gefährlich sein werde als jener Ritt über die Alb, denn er mußte gerade die Linie zwischen Urach und Tübingen durchschneiden. Doch war Urach schon seit mehreren Tagen von dem Heere verlassen; die Belagerung von Tübingen mußte notwendig viele Mannschaft erfordern, und so konnte Georg dennoch hoffen, daß keine eigentlichen Posten mehr den Strich Landes, den er zu durchreisen hatte, besetzt halten werden.

Mit Ungeduld erwartete er daher die Ankunft seines Führers. Seine Kopfwunde war geheilt; sie war nicht tief gewesen, denn die Federn seines Barettes und sein dichtes Haar hatten dem Hiebe, der nach ihm geführt worden war, seine Schärfe benommen; doch war der Schlag noch immer kräftig genug gewesen, um ihn auf so viele Tage des Bewußtseins zu berauben. Auch seine übrigen Wunden an Arm und Beinen waren geheilt, und die einzige körperliche Folge jener unglücklichen Nacht war eine Mattigkeit, die er dem Blutverlust, dem langen Liegen und dem Wundfieber zuschrieb; doch auch diese schwand von Stunde zu Stunde, denn ein frischer Mut und sehnsüchtige Gedanken in die Ferne verjagen gar bald solche schlimme Gäste.

Es gehörte übrigens dieser frische Mut und ein wenig jugendliche [185] Neugierde dazu, ihm die langsam hinschleichenden Stunden erträglich zu machen; es gehörte die muntere Tochter des Pfeifers dazu, um ihn vergessen zu lassen, wie unerträglich lange ihr Vater auf sich warten lasse. Er sah hier, was er sich schon lange zu sehen gewünscht hatte, eine echte, schwäbische Bauernwirtschaft. Wie drollig kamen ihm ihre Sitten, ihre Sprache vor; sein Franken, so nahe es an dieses Württemberg grenzte, hatte doch wieder einen anderen Schlag von Leuten; es deuchte ihm, seine Bauern seien pfiffiger, verschlagener, in manchen Dingen weniger roh als diese. Aber die gutmütige Ehrlichkeit dieser Leute, die aus ihren Augen, aus ihrer Sprache, aus ihrem ganzen Wesen hervorblitzte, ihre muntere, unverdrossene Arbeitsamkeit, ihre Reinlichkeit, die ihrer Armut ein ehrbares, sogar schmuckes Ansehen gab, dies alles machte, daß er zu fühlen glaubte, es haben diese Leute als Menschen mehr inneren Gehalt als die, welche er in seinen Gauen kennen gelernt hatte, wenn sie auch in manchen Dingen nicht so viel Verschlagenheit zeigten.

Bewundern mußte er auch die trauliche, gutmütige Geschwätzigkeit des Mädchens. Die runde Frau mochte schmälen wie sie wollte, mochte sie noch so oft ermahnen, den hohen Stand des Ritters zu bedenken, sie ließ es sich nicht nehmen, ihren Gast zu unterhalten, besonders da sie ihren geheimen Plan, zu erforschen, ob sie in Hinsicht auf die Feldbinde besser geraten habe als die Mutter, noch nicht aufgegeben hatte. Sie hatte hierüber noch ihre ganz besonderen Gedanken; als nämlich der Junker so gar krank gelegen, war sie in der Nacht noch lange aufgeblieben, um dem Vater Gesellschaft zu leisten, der am Bette des Verwundeten wachte. Doch bald schlief sie über ihrer Arbeit ein; es mochte ungefähr zehn Uhr in der Nacht sein, da sie von einem Geräusch im Zimmer aufgeschreckt wurde. Sie sah einen Mann mit dem Vater angelegentlich sprechen; seine Züge entgingen ihr nicht, obgleich er sich in eine große Kappe gehüllt hatte, sie glaubte einen Diener des Ritters von Lichtenstein, der schon oft auf geheimnisvolle Weise zu dem Pfeifer von Hardt gekommen war, und bei dessen Anwesenheit sie immer das Zimmer hatte verlassen müssen, in ihm zu erkennen.

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 184–185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_115.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)