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das laute Lachen zu verbeißen; „a baar Stund, saget Er? Heit nacht wird’s grad nei Tag, daß se Ich brocht hent.“[Hauff 1]

Der Jüngling staunte sie mit ernsten Blicken an. Neun Tage, ohne zu Marien zu kommen! Zu Marien? mit diesem himmlischen Bilde kehrte wie mit einem Schlag seine Erinnerung wieder; er erinnerte sich, daß er vom Bunde sich losgesagt habe; daß er sich entschlossen habe, nach Lichtenstein zu reisen, daß er über die Alb auf geheimen Wegen gezogen sei, daß – er und sein Führer überfallen, vielleicht gefangen wurde; „gefangen?“ rief er schmerzlich, „sage Mädchen, bin ich gefangen?“

Diese hatte mit wachsender Angst gesehen, wie sich die klaren Blicke des jungen Ritters verfinstert hatten, wie seine freundlichen Züge ernst, beinahe wild wurden. Sie glaubte, er falle in jenen schrecklichen Zustand zurück, wo er, vom Wundfieber hart angefallen, einige Stunden lang gerast hatte; und der schwermütige Ton seiner Frage konnte ihre Furcht nicht mindern. Unschlüssig, ob sie bleiben oder um Hülfe rufen sollte, trat sie einen Schritt zurück.

Der junge Mann glaubte in ihrem Schweigen, in ihrer Angst die Bestätigung seiner Frage zu lesen. „Gefangen, vielleicht auf lange, lange Zeit“, dachte er, „vielleicht weit von ihr entfernt, ohne Hoffnung, ohne den Trost, etwas von ihr zu wissen!“ Sein Körper war noch zu erschöpft, als daß er der trauernden Seele widerstanden hätte; eine Thräne stahl sich aus dem gesenkten Auge.

Das Mädchen sah diese Thräne, ihre Angst löste sich augenblicklich in Mitleiden auf, sie trat näher, sie setzte sich an sein Bett, sie wagte es, die herabhängende Hand des Jünglings zu ergreifen. „Er müesset et greina“, sagte sie; „Euer Gnada sind jo jetzt wieder g’sund, und – er kennet jo jetzt bald wieder fortreita“, setzte sie wehmütig lächelnd hinzu.[Hauff 2]

„Fortreiten?“ fragte Georg, „also bin ich nicht gefangen?“

[177] „G’fanga? noi g’fanga send Er net; es hätt zwor a baarmol sei kenna, wia dia vom Schwäbischa Bund vorbeizoga send, aber mer hent Ich ällemol guet versteckt; der Vater hot gsait, mer solle da Junker koin Menscha seah lau.“[Hauff 3]

„Der Vater?“ rief der Jüngling, „wer ist der gütige Mann? wo bin ich denn?“

„Ha, wo werdet Er sei?“ antwortete Bärbele, „bei aus send Er in Hardt.“

„In Hardt?“ Ein Blick auf die musikalisch ausstaffierten Wände gab ihm Gewißheit, daß er Freiheit und Leben jenem Mann zu verdanken habe, der ihm wie ein Schutzgeist von Marien zugesandt war. „Also in Hardt? und dein Vater ist der Pfeifer von Hardt? nicht wahr?“

„Er hot’s et gern, wemmar em so ruaft“, antwortete das Mädchen, „er ist freile sei’s Zoiches a Spielma, er hairts am gernsta, wemmer Hans zua nem sait.“[Hauff 4]

„Und wie kam ich denn hieher?“ fragte jener wieder.

„Ja wisset Er denn au gar koi Wörtle meh?“ lächelte das hübsche Kind, und bediente sich wieder des Zopfbandes. Sie erzählte, ihr Vater sei schon seit einigen Wochen nicht zu Hause gewesen, da sei er einesmals vor neun Tagen in der Nacht an das Haus gekommen und habe stark gepocht, bis sie erwacht sei. Sie habe seine Stimme erkannt und sei hinabgeeilt, um ihm zu öffnen. Er sei aber nicht allein gewesen, sondern noch vier andere Männer bei ihm, die eine mit einem Mantel verdeckte Tragbahre in die Stube niedergelassen haben. Der Vater habe den Mantel zurückgeschlagen und ihr befohlen, zu leuchten, sie sei aber heftig erschrocken, denn ein blutender, beinahe toter Mann sei auf der Bahre gelegen. Der Vater habe ihr befohlen, das Zimmer schnell

  1. „Wie schwatzet Ihr doch! Ein paar Stunden? heute nacht wird es neun Tage, daß man Euch gebracht hat.“
  2. „Ihr müßt nicht weinen! Euer Gnaden sind ja jetzt wieder gesund und können jetzt wieder weiter reiten.“
  3. „Gefangen? nein, gefangen seid Ihr nicht, zwar es hätte ein paarmal sein können, wie die vom Schwäbischen Bund vorbeigezogen sind; doch wir haben Euch immer gut versteckt, der Vater hat gesagt, wir sollen den Junker keinen Menschen sehen lassen.“
  4. „Er hört es nicht gerne; freilich ist er seinem Gewerbe nach ein Spielmann, aber er hört es am gernsten, wenn man Hans zu ihm sagt.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 176–177. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_111.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)