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„Ist’s um dui Zeit?“ entgegnete die Hausfrau freundlicher; „Da host wärle reacht; wenn er verwacht und sieht älles so schluttich und schlampich, se ist et guot und könnt Verdruß gä bei’m Ätte. Ih sieh au aus wie na Drach. Gang Bärbele; holmer mei schwaarz Wammas, mei rauts Miader und en frischa Schurz.“[Hauff 1]

„Aber Muater“, gab die Kleine zu bedenken. „er wendt ich doch ett do athau wella? wenn der Junker jetzt no grad verwacha thät? ganget lieber uffe und theant ich droban a, i bleib’ derweil bei em.“[Hauff 2]

„Da host et aureacht, Mädle“[Hauff 3], murmelte die Alte, ließ selbst das Frühstück stehen und ging, um sich in ihren Putz zu werfen. Die Tochter aber öffnete das Fenster der frischen, erquickenden Morgenluft, sie streute Futter auf den breiten Sims, viele Tauben und Sperlinge flogen heran und verzehrten mit Gurren und Zwitschern ihr Frühstück; die Lerchen in den Bäumen vor den Fenstern antworteten in einem vielstimmigen Chorus, und das schöne Mädchen sah, von der Morgensonne umstrahlt, lächelnd ihren kleinen Kostgängern zu.

In diesem Augenblick öffneten sich die Gardinen des Bettes, der Kopf eines schönen, jungen Mannes sah heraus; wir kennen ihn, es ist Georg.

Ein leichtes Rot, der erste Bote wiederkehrender Gesundheit, lag auf seinen Wangen; sein Blick war wieder glänzend wie sonst; sein Arm stämmte sich kräftig auf das Lager. Erstaunt blickte er auf seine Umgebungen; dieses Zimmer, diese Geräte waren ihm fremd, er selbst, seine ganze Lage kam ihm ungewohnt vor. Wer hatte ihm diese Binde um das Haupt gebunden? Wer hatte ihn [175] in dieses Bett gelegt? Es war ihm wie einem, der mit fröhlichen Brüdern eine Nacht durchjubelt, die Besinnung endlich verliert und auf einem fremden Lager aufwacht.

Lange sah er dem Mädchen am Fenster zu; dieses Bild, das erste, das ihm bei seinem Erwachen aus langem Schlafe entgegentrat, war so freundlich, daß er das Auge nicht davon abwenden konnte; endlich siegte die Neugierde, über das, was mit ihm vorgegangen war, gewisser zu werden; er machte ein Geräusch, indem er die Gardinen des Bettes noch weiter zurückschlug.

Das Mädchen am Fenster schien zusammenzuschrecken; sie wandte sich um, über ihr schönes Gesicht flog ein brennendes Rot, freundliche blaue Augen staunten ihn an; ein roter, lächelnder Mund schien vergebens nach Worten zu suchen, den Kranken bei seiner Rückkehr ins Leben zu begrüßen. Sie faßte sich und eilte mit kurzen Schrittchen an das Bette, doch machte sie unterwegs mehreremal Halt, als besinne sie sich, ob er denn wirklich wieder aufgewacht sei, ob es sich auch schicke, daß sie zu ihm trete, da er jetzt wieder lebe wie ein anderer Mensch.

Der junge Mann, nachdem er der Verlegenheit des schönen Kindes lächelnd zugesehen hatte, brach zuerst das Stillschweigen.

„Sag’ mir, wo bin ich? wie kam ich hieher?“ fragte Georg. „Wem gehört dieses Haus, worin ich, mir scheint, aus einem langen Schlaf erwacht bin?“

„Sind Er wieder ganz bei Ich?“ rief das Mädchen, indem sie vor Freude die Hände zusammenschlug. „Ach, Herr Jeses, wer hett’ des denkt? Er gucket oin doch au wieder g’scheit an und et so duselig, daß oims ällamol angst und bang wora ist.“[Hauff 4]

„Ich war also krank?“ forschte Georg, der das Idiom des Mädchens nur zum Teil verstand. „Ich lag einige Stunden ohne Bewußtsein?“

„Ei wie schwätzet Er doch“, kicherte das hübsche Schwabenkind und nahm das Ende des langen Zopfbandes in den Mund, um

  1. „Ist’s um diese Zeit? wahrlich du hast recht! wenn er erwacht und sieht alles so ohne Ordnung, es wäre nicht gut und könnte beim Vater Verdruß geben. Ich sehe aus wie ein Drache. Gehe, bringe mir mein schwarzes Wams, mein rotes Mieder und einen frischen Schurz.“
  2. „Aber Mutter, Ihr werdet Euch doch nicht hier ankleiden wollen? wenn der Junker gerade jetzt erwachte! gehet hinauf, kleidet Euch oben an; ich bleibe bei ihm.“
  3. „Du hast nicht unrecht.“
  4. „Seid Ihr wieder ganz bei Euch? Ach, Herr Jesus! wer hätte das gedacht! Ihr schauet doch auch wieder vernünftig aus den Augen, und nicht so verwirrt, daß man Bange bekam!“
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 174–175. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_110.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)