Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 103.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„Laßt hängen, Junker“, rief der Bauer lachend, „solch eine Sturmhaube ist an sich schon kalt und gibt in einer frischen Nacht nicht sehr warm; lasset immer Euer Barett sitzen, in dieser Gegend suchen sie den Herzog nicht, und sollten sie kommen, wir zwei fürchten ihrer vier nicht.“

Der junge Mann ließ zögernd seinen schönen Helm am Sattelknopf hängen, er schämte sich, weniger Mut zu zeigen als sein Begleiter, der unberitten, nur durch eine dünne lederne Mütze geschützt und mit einer einfachen Axt schlecht bewaffnet war. Er schwang sich auf. Sein Führer ergriff die Zügel des Rosses und schritt voran den Berg hinab.

„Du meinst also“, fragte Georg nach einer Weile, „bis hieher werden sich die bündischen Reiter nicht wagen?“

„Es ist nicht wohl möglich“, antwortete der Pfeifer, „Neuffen ist ein starkes Schloß und hat gute Besatzung; sie werden es zwar in kurzer Zeit mit Heeresmacht belagern, aber Gesindel wie die Handvoll Reiter des Truchseß wagt sich doch nicht in die Nähe einer feindlichen Burg.“

„Schau! wie hell und schön der Mond scheint“, rief der Jüngling, der, noch immer erfüllt von dem Anblick auf dem Berge, die wunderlichen Schatten der Wälder und Höhen, die hell glänzenden Felsen betrachtete; „siehe, wie die Fenster von Neuffen im Mondlicht schimmern!“

„Es wäre mir lieber, er schiene heute nacht nicht“, entgegnete sein Führer, indem er sich zuweilen besorgt umsah; „dunkle Nacht wäre besser für uns, der Mond hat schon manchen braven Mann verraten. Doch jetzt steht er gerade über dem Reißenstein, wo der Riese gewohnt hat, es kann nicht mehr lange dauern, so ist er hinunter.“

„Was schwatzt du da von einem Riesen, der auf dem Reißenstein gewohnt hat?“

„Ja, dort hat vor langer Zeit ein Riese gewohnt[Hauff 1], das hat seine Richtigkeit; dort über dem Berg, gerade wo jetzt der Mond steht, liegt ein Schloß, das heißt der Reißenstein. Es gehört jetzt den Helfensteinern; es liegt auf jähen Felsen weit oben in der Luft und hat keine Nachbarschaft als die Wolken und bei Nacht [161] den Mond. Geradeüber von der Burg auf einem Berge, worauf jetzt der Heimenstein steht, liegt eine Höhle, und darinnen wohnte vor alters ein Riese. Er hatte ungeheuer viel Gold und hätte herrlich und in Freuden leben können, wenn es noch mehr Riesen und Riesinnen außer ihm gegeben hätte. Da fiel es ihm ein, er wolle sich ein Schloß bauen, wie es die Ritter haben auf der Alb. Der Felsen gegenüber schien ihm gerade recht dazu.

Er selbst aber war ein schlechter Baumeister; er grub mit den Nägeln haushohe Felsen aus der Alb und stellte sie aufeinander, aber sie fielen immer wieder ein und wollten kein geschicktes Schloß geben. Da legte er sich auf den Beurener Felsen und schrie ins Thal hinab nach Handwerkern; Zimmerleute, Maurer, Steinmetze, Schlosser, alles solle kommen und ihm helfen, er wolle gut bezahlen.

Man hörte sein Geschrei im ganzen Schwabenland vom Kocher hinauf bis zum Bodensee, vom Neckar bis an die Donau, und überallher kamen die Meister und Gesellen, um dem Riesen das Schloß zu bauen. – Reitet aus dem Mondschein, Junker, hieher in den Schatten, Euer Harnisch glänzt wie Silber und könnte leicht den Spürhunden in die Augen glänzen!

Nun, um wieder auch den Riesen zu kommen, so war es lustig anzusehen, wie er vor seiner Höhle im Sonnenschein saß und über dem Thal drüben auf dem hohen Felsen sein Schloß bauen sah; die Meister und Gesellen waren flink an der Arbeit und bauten, wie er ihnen über das Thal hinüber zuschrie; sie hatten allerlei fröhlichen Schwank und Kurzweil mit ihm, weil er von der Bauerei nichts verstand. Endlich war der Bau fertig, und der Riese zog ein und schaute aus dem höchsten Fenster aufs Thal hinab, wo die Meister und Gesellen versammelt waren, und fragte sie, ob ihm das Schloß gut anstehe, wenn er so zum Fenster herausschaue. Als er sich aber umsah, ergrimmte er, denn die Meister hatten geschworen, es sei alles fertig, aber an dem obersten Fenster, wo er heraussah, fehlte noch ein Nagel.

Die Schlossermeister entschuldigten sich und sagten, es habe sich keiner getraut, vors Fenster hinaus in die Luft zu sitzen und den Nagel einzuschlagen. Der Riese aber wollte nichts davon

Anmerkungen (Hauff)

  1. [167] Diese Sage erzählt G. Schwab, der treue, freundliche Wegweiser über die Schwäbische Alb. Er hat sie in einer Romanze: „Der Bau des Reißensteins“, der Nachwelt aufbehalten.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 160–161. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_103.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)