Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 095.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

„So begleitet ihr also den Scheidenden, wie ihr seinen Eintritt begrüßt habt“, rief der junge Reiter, „mit denselben Tönen, mit denselben feierlichen Akkorden sprechet ihr zu ihm, wann er kommt und geht; wie anders, wie so ganz anders deutete ich eure ehernen Stimmen, als mein Ohr euch zum erstenmal lauschte. Da vernahm ich in euch verwandte Töne, es klang mir wie ein Ruf zur Geliebten! Und jetzt, da ich scheide, ohne Aussicht, ohne Freude, jetzt ruft ihr mir dieselben Töne entgegen? Die Geburt meiner seligen Hoffnung habt ihr ebenso eingeläutet, wie jetzt das Grabgeläute meiner Hoffnung? Das Bild des Lebens!“ setzte er wehmütig hinzu, indem er nach einem langen Abschiedsblick auf dieses Thal, auf diese Mauern, sein Pferd wandte. „Das Bild des Lebens! Um Wiege und Sarg schweben sie in gleichen Tönen, und die Glocken meiner Hauskapelle haben an jenem fröhlichen Tage, wo man mich zur Taufe trug, mir ebenso getönt, wie sie mir tönen werden, wenn man den letzten Sturmfeder zu Grabe trägt!“

Das Gebirge wurde jetzt steiler, und Georg, denn als diesen haben unsere Leser den jungen Reiter schon längst erkannt, Georg ließ sein Pferd langsam hinschreiten, indem er seinen Gedanken nachhing. Es war der Weg nach seiner Heimat, und die Vergleichungen, die er zwischen dieser Heimkehr und dem fröhlichen Auszug anstellte, mochten nicht dazu beitragen, seine düsteren Gefühle aufzuhellen. Der gesterige Tag, der schnelle Wechsel heftiger Empfindungen, seine Verhaftung, zuletzt noch heute der Abschied von Männern, die ihm wohlwollten, hatte ihn heftig angegriffen.

Wie treuherzig und gutmütig hatte Dieterich von Kraft, sein zierlicher Gastfreund, seine Abreise bedauert; wie gleich war sich dieser gute Mensch in seinem Wohlwollen gegen ihn geblieben, vom ersten Becher an, den er mit ihm im Rathaussaale geleert, bis zum Abschiedstrunk, den er seinem Gast noch auf das Pferd hinauf kredenzte; und wie hatte er ihm gelohnt? Beschäftigt mit sich selbst, hatte er ihn wenig geachtet, übersehen. Wie hatte er dem biedern Breitenstein, wie dem Helden Frondsberg, der ihn vor den Augen eines Heeres wie seinen Liebling ausgezeichnet [145] hatte, wie hatte er ihnen vergolten? Wahrlich, es ist für ein edles Gemüt kein Gedanke drückender als der, für undankbar zu gelten bei Männern, in deren Augen wir geachtet sein möchten.

Er hatte unter diesen trüben Gedanken eine gute Strecke auf dem Gebirgsrücken zurückgelegt. Die Strahlen der Märzsonne wurden immer drückender, die Pfade rauher, und er beschloß, unter dem Schatten einer breiten Eiche sich und seinem Pferde Mittagsruhe zu gönnen. Er stieg ab, schnallte den Sattelgurt leichter und ließ das ermüdete Tier die sparsam hervorkeimenden Gräser aufsuchen. Er selbst streckte sich unter der Eiche nieder, und so gerne er sich dem Schlafe überlassen hätte, wozu nach dem ermüdenden Ritte ihn der kühle Schatten einlud, so hielt ihn doch die Besorgnis, in so unruhigen Zeiten in einem Lande, das so nahe dem Schauplatz des Krieges lag, um sein Roß und vielleicht gar um seine Waffen zukommen, einige Zeit wach, bis er in jenen Zustand versank, wo die Seele zwischen Wachen und Schlafen umsonst mit dem Körper kämpft, der ungestüm seine Rechte fordert.

Er mochte wohl ein Stündchen so geschlummert haben, als ihn das Wiehern seines Pferdes aufschreckte; er sah sich um und gewahrte einen Mann, der, ihm den Rücken gekehrt, sich mit dem Tier beschäftigte. Sein erster Gedanke war, daß man seine Unachtsamkeit benützen und das Pferd entführen wolle; er sprang auf, zog sein Schwert und war in drei Sprüngen dort. „Halt! was hast du da mit dem Pferd zu schaffen!“ rief er, indem er seine Hand etwas unsanft auf die Schulter des Mannes legte.

„Habt Ihr mich denn schon wieder aus Eurem Dienst entlassen, Junker?“ antwortete dieser und wandte sich zu ihm; in den listigen, kühnen Augen, an dem lächelnden Mund erkannte Georg sogleich den Boten, den ihm Marie gesandt hatte; er war noch unschlüssig, wie er sich gegen ihn benehmen sollte, denn Frondsbergs Warnung schreckte ihn ab, Mariens Zuversicht empfahl ihn, doch der Bauer fuhr fort, indem er ihm eine gute Handvoll Heu vorzeigte: „Ich konnte mir wohl denken, daß Ihr keinen Futtersack mitnehmen werdet; auf den Bergen da oben sieht es noch schlecht aus mit dem Gras, da habe ich denn Eurem Braunen einen Armvoll Heu mitgebracht; es hat ihm trefflich behagt.“ So

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 144–145. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_095.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)