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alten Schlosse, das er als Knabe einmal besucht hatte, kam ihm immer vor das Auge; er war einigemal im Begriff, seinen Führer darüber zu befragen, doch drängte der Gedanke, man möchte es für kindische Furcht ansehen, seine Frage immer wieder zurück.

Nicht wenig war er daher überrascht, als man ihn in ein geräumiges, schönes Zimmer führte, das zwar nicht sehr wohnlich aussah, denn es enthielt nur eine leere Bettstelle und einen ungeheuern Kamin, aber in Vergleichung mit den Bildern seiner Phantasie eher einem Prunkgemach als einem Gefängnis glich. Der alte Kriegsmann wünschte dem Gefangenen gute Nacht und zog sich mit seinen Knechten zurück; ein kleiner, hagerer, sehr ältlicher Mann trat ein, der große Schlüsselbund, welcher an seiner Seite hing und jeden seiner Schritte wie mit Kettengerassel bezeichnete, gab ihn als den Rathausdiener oder Schließer kund. Er legte schweigend einige große Scheite Holz ins Kamin, und bald loderte ein behagliches Feuer auf, das dem jungen Mann in der kalten Märznacht sehr zu statten kam. Auf die Bretter der breiten, leeren Bettstelle breitete der Schließer eine große, wollene Decke, und das erste Wort, das Georg aus seinem Munde hörte, war die freundliche Einladung an den Gefangenen, sich’s bequem zu machen. Die harten Brettchen, nur mit einer dünnen Decke überlegt, mochten nun freilich nicht sehr einladend aussehen, doch lobte Georg die Bemühungen des Alten und sein Gefängnis.

„Das ist halt die Ritterhaft“, belehrte ihn der Schließer, „die für den gemeinen Mann ist unter der Erde und nicht so schön; doch ist sie dafür desto besuchter.“

„Hier war wohl seit langer Zeit niemand?“ fragte Georg, indem er das öde Gemach musterte.

„Der letzte war vor sieben Jahren ein Herr von Berger, er ist in jenem Bett verschieden; Gott sei seiner armen Seele gnädig! Es schien ihm aber hier zu gefallen, denn er ist schon in mancher Mitternacht aus seiner Bahre heraufgestiegen, um sein altes Zimmer zu besuchen.“

„Wie?“ sagte Georg lächelnd, „hieher soll er sich nach seinem Tode noch bemüht haben?“

[137] Der Schließer warf einen scheuen Blick in die Ecken des Zimmers, die, von dem unruhigen Flackern des Kaminfeuers kaum erhellt, sich bald vor-, bald zurückzudrängen schienen; er legte das Holz mehr zurecht und brummte: „Man spricht so mancherlei“.

„Und auf jener Decke ist er verschieden?“ rief Georg, den bei allem jugendlichen Mut doch ein unwillkürlicher Schauder überlief.

„Ja, Herr!“ flüsterte der Schließer leise, „dort auf jener Decke ist er abgefahren, Gott gebe, daß es nicht tiefer als ins Fegefeuer ging. Wir nennen deswegen die Decke nur das Leichentuch, das Zimmer aber heißt des Ritters Totenkammer!“ Mit leisen Schritten, als fürchte er, durch jeden Laut den Toten zu erwecken, schlich er aus dem Gemach, desto vernehmlicher rauschten außen seine Schlüssel in dem Thürschloß, als feierten sie seinen Triumph, einem greulichen Spuk entflohen zu sein.

„Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?“ dachte Georg und fühlte, wie sein Herz lauter pochte. Man hatte zwar damals das menschliche Gemüt noch nicht wie in unsern Tagen durch eigene Gespenster- und Schauerbücher für das Grauenhafte empfänglich gemacht; doch hatten Ammen und alte Knechte hinlänglich dafür gesorgt, den Geist des Junkers Georg mit diesem reichlich wuchernden Unkraut anzupflanzen.

Er war daher unschlüssig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht. Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer, der Boden, mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kälter als das kalte, feuchte Leichentuch; er begann, sich dieser Untersuchungen, dieses Zögerns zu schämen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf.

Auch das härteste Lager ist weich für den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Träume auf und lagerten sich bange über den jungen Mann; er sah deutlich, wie der alte Schließer zu dem großen Schlüsselloch hereinguckte und sich segnete, daß er auf der anderen Seite der Thüre stehe, denn in der Totenkammer begann es recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umher zu rauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in häßlichen Tönen;

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 136–137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_091.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)