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und habe das Fräulein gekannt, als man sie noch in ihres Vaters Schwertkuppel gehen lernte. Aber ich hätte sie kaum wiedererkannt, so groß war sie geworden, und die roten Wangen sind auch weg wie der Schnee am ersten Mai. Ich weiß nicht, wie es ging, aber mich dauerte ihr Anblick in der Seele, und ich mußte fragen, was ihr fehle und ob ich ihr nicht etwas helfen könne. Sie besann sich eine Weile und sagte dann: ‚Ja, wenn du verschwiegen wärest, Hans, könntest du mir wohl einen großen Dienst leisten!‘ Ich sagte zu, und sie bestellte mich bis nach der Vesper.“

„Aber wie kommt sie nur in das Kloster?“ fragte Georg; „sonst darf ja doch kein Weiberschuh über die Schwelle.“

„Der Abt ist mit ihrem Vater befreundet, und da so viel Volk in Blaubeuren liegt, so ist sie dort besser aufgehoben als im Städtchen, wo es toll genug zugeht. Nach der Vesper, als alles still war, kam sie ganz leise in den Kreuzgang. Ich sprach ihr Mut zu, wie es eben unsereins versteht, da gab sie mir dies Blättchen und bat mich, Euch aufzusuchen.“

„Ich danke dir herzlich, guter Hans“, sagte der Jüngling. „Aber hat sie dir sonst nichts an mich aufgetragen?“

„Ja“, antwortete der Bote, „mündlich hat sie mir noch etwas aufgetragen: Ihr sollt Euch hüten, man habe etwas mit Euch vor.“

„Mit mir?“ rief Georg; „das hast du nicht recht gehört, wer und was soll man mit mir vorhaben?“

„Da fragt Ihr mich zu viel“, entgegnete jener, „aber wenn ich es sagen darf, so glaube ich, die Bündischen. Das Fräulein setzte noch hinzu, ihr Vater habe davon gesprochen, und hat nicht der Frondsberg Euch heute zugewinkt und Euch geehrt wie des Kaisers Sohn, daß sich jedermann darob verwunderte? Glaubt nur, es hat allemal etwas zu bedeuten, wenn solch ein Herr so freundlich ist.“

Georg war überrascht von der richtigen Bemerkung des schlichten Bauers; er entsann sich auch, daß Mariens Vater tief in die Geheimnisse der Bundesobersten eingedrungen sei und vielleicht etwas erfahren habe, was sich zunächst auf ihn bezöge. Aber er mochte sinnen wie er wollte, so konnte er doch nichts erfinden, [119] was zu dieser geheimnisvollen Warnung Mariens gepaßt hätte. Mit Mühe riß er sich aus diesem Gewebe von Vermutungen, indem er den Boten fragte, wie er ihn so schnell gefunden habe?

„Dies wäre ohne Frondsberg so bald nicht geschehen“, antwortete er; „ich sollte Euch bei Herrn Dieterich von Kraft aufsuchen. Wie ich aber die Straße hereinging, da sah man viel Volk auf den Wiesen. Ich dachte, eine halbe Stunde mache nichts aus, und stellte mich auch hin, um das Fußvolk zu betrachten. Wahrlich, der Frondsberg hat es weit gebracht. – Nun, da war mir’s, als hörte ich nahe bei mir Euren Namen nennen, ich sah mich um, es waren drei alte Männer, die sprachen von Euch und deuteten auf Euch hin, ich aber merkte mir Eure Gestalt und folgte Euren Schritten, und weil ich meiner Sache doch nicht ganz gewiß war, so gab ich Euch das Rätsel von Sturm und Licht auf.“

„Das hast du klug gemacht“, sagte Georg lächelnd; „aber dennoch komme in mein Haus, daß man dir etwas zu essen reiche; wann kehrst du wieder heim?“

Hans bedachte sich eine Weile; endlich aber sagte er, indem ein schlaues Lächeln um seinen Mund zog: „Nichts für ungut, Junker, aber ich habe dem Fräulein versprechen müssen, nicht eher von Euch zu weichen, als bis Ihr dem bündischen Heer Valet gesagt habt!“

„Und dann?“ fragte Georg.

„Und dann gehe ich stracks nach Lichtenstein und bringe ihr die gute Nachricht von Euch; wie wird sie sich sehnen! Alle Tage steht sie wohl im Gärtchen auf dem Felsen und sieht ins Thal hinab, ob der alte Hans noch nicht kommt!“

„Die Freude soll ihr bald werden“, antwortete Georg, „vielleicht reite ich schon morgen, und dann schreibe ich vorher noch ein Brieflein.“

„Aber greifet es doch klug an“, sagte der Bote, „das Pergament darf nicht breiter sein als jenes, das ich brachte. Denn ich muß es wieder im Kniegürtel verstecken. Man weiß nicht, was einem in so unruhiger Zeit begegnen kann, und dort sucht es niemand.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 118–119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_082.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)