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in unseren Tagen, wo jede Dorfschöne ihrem Geliebten zum Regiment eine Epistel, so lange als die 3. St. Johannis, schreiben kann. Die Chronik, woraus wir diese Historie genommen, hat uns jene Worte aufbewahrt, welche Georgs gierige Blicke aus den verworrenen Zügen des Pergamentes entzifferten:

„Bedenk Deinen Eid. – Flieh bei Zeit.
Gott Dein Geleit. – Marie Dein in Ewigkeit.“

Es liegt ein frommer, zarter Sinn in diesen Worten; und wer sich ein liebendes Herz dazu denkt, wie es mit diesen Zeilen in die Ferne fliegen möchte, ein Auge voll Zärtlichkeit, umflort von einem Schleier stiller Thränen, einen holden Mund, der das Blättchen noch einmal küßt, verschämte Wangen, die bei diesem geheimnisvollen Gruße erröten, – wer dies hinzudenkt, der wird es Georg nicht verargen, daß er einige Augenblicke wie trunken war. Ein freudiger, glänzender Blick nach den fernen blauen Bergen hin dankte der Geliebten für ihren tröstenden Spruch; und wahrlich, er war auch zu keiner andern Zeit nötiger gewesen als gerade jetzt, um den gesunkenen Mut des jungen Mannes zu erheben. Wußte er doch, daß ein Wesen, das teuerste, was für ihn auf der Erde lebte, ihn nicht verkannte. Der Schluß jener Zeilen erhob sein Herz zur alten Freudigkeit, er bot dem guten Boten die Hand, dankte ihm herzlich und fragte, wie er zu diesen Zeilen gekommen sei.

„Dacht’ ich’s doch“, antwortete dieser, „daß das Blättchen keinen bösen Zauberspruch enthalten müsse, denn das Fräulein lächelte so gar freundlich, als sie es mir in die rauhe Hand drückte. Es war vergangenen Mittwoch, daß ich nach Blaubeuren kam, wo unser Kriegsvolk stand. Es ist dort in der Klosterkirche ein prächtiger Hochaltar, worauf die Geschichte meines Patrons, des Täufers Johannes, vorgestellt ist. Vor sieben Jahren, als ich in großer Not und einem schmählichen Ende nahe war, gelobt ich alle Jahre um diese Zeit eine Wallfahrt dahin. So hielt ich es alle Jahre seit der Zeit, daß mich der Heilige durch ein Wunder von Henkers Hand errettet hat. Wenn ich nun mein Gebet verrichtet hatte, ging ich allemal zum Herrn Abt, um ihm ein paar [117] schöne Gänse oder ein Lamm zu bringen, oder was er sonst gerade gerne hat. – Aber ich mache Euch Langeweile mit meinem Geschwätz, Junker?“

„Nein, nein, erzähle nur weiter“, antwortete Georg, „komm, setze dich zu mir auf jene Bank.“

„Das würde sich schön schicken!“ entgegnete der Bote, „wenn ein Bauer an des Junkers Seite sitzen wollte, den der Oberfeldhauptmann vor aller Augen so oft grüßte; erlaubt mir, daß ich mich vor Euch hinstelle.“

Georg ließ sich auf einen Steinsitz am Wege nieder, der Bauer aber fuhr, auf seine Axt gestützt, in seiner Erzählung fort: „Ich hatte diesmal bei den unruhigen Zeiten wenig Lust zur Wallfahrt, aber ‚gebrochener Eid, thut Gott leid‘ heißt es, und so mußte ich mein Gelübde vollbringen. Wie ich vom Gebet aufstund, um dem Abt zu bringen, was recht ist, sagte mir einer der Pfaffen, daß ich diesmal nicht zu Seiner Ehrwürden könne, weil viele Herren und Ritter dort zu Besuch seien. Ich bestand aber doch darauf, denn der Abt ist ein leutseliger Herr und hätte mir’s nicht verziehen, wenn ich ihn nicht heimgesucht hätte. Wenn Ihr je ins Kloster hinauskommt, so vergesset nicht, nach der Treppe zu schauen, die vom Hochaltar zum Dorment[1] führt. Sie geht durch die dicke Mauer, welche die Kirche ans Kloster schließt, und ist lang und schmal. Dort war es, wo mir das Fräulein begegnet ist. Es kommt mir nämlich ein feines Weibsbild im Schleier mit Brevier und Rosenkranz die Treppe herab entgegen; ich drücke mich an die Wand, um sie vorbeizulassen, sie aber bleibt stehen und spricht: ‚Ei, Hans, woher des Wegs?‘“

„Woher kennt Euch denn das Fräulein?“ unterbrach ihn Georg.

„Meine Schwester ist ihre Amme und –“

„Wie, die alte Rose ist Eure Schwester?“ rief der junge Mann.

„Habt Ihr sie auch gekannt?“ sagte der Bote, „ei, seh doch einer! aber daß ich weiter sage: ich hatte eine große Freude, sie wiederzusehen, denn ich besuchte meine Schwester häufig in Lichtenstein,


  1. „Dorment“ heißt das Schlafgemach der Ordensleute.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 116–117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)