Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 075.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Seine Blicke bohren durch Fels und Stein,
Er schaut durch die Alb nach dem Lichtenstein!“

Als Bertha noch im Nachspiel zu ihrem Liedchen begriffen war, ging die Gartenpforte; Männertritte tönten den Gang herauf, und die Mädchen standen auf, die Erwarteten zu empfangen.

„Herr von Sturmfeder“, begann Bertha nach den ersten Begrüßungen, „verzeihet doch, daß ich es wagte, Euch in meines Vaters Garten einzuladen; aber meine Base Marie wünscht Euch Aufträge an eine Freundin zu geben. – Nun, und daß wir andern nicht zu kurz kommen“, setzte sie zu Herrn Kraft gewandt hinzu, „so wollen wir eines plaudern und den Abendtanz von gestern mustern.“ Damit ergriff sie ihres Vetters Hand und zog ihn mit sich den Gang hinab.

Georg hatte sich zu Marie auf die Bank gesetzt. Sie lehnte sich an seine Brust und weinte heftig. Die süßesten Worte, die er ihr zuflüsterte, vermochten nicht, ihre Thränen zu stillen. „Marie“, sagte er, „du warst ja sonst so stark, wie kannst du nun gerade jetzt allen Glauben an ein besseres Geschick, alle Hoffnung aufgeben?“

„Hoffnung?“ fragte sie wehmütig, „mit unserer Hoffnung, mit unserem Glück ist es für ewig aus.“

„Siehe“, antwortete Georg, „eben dies kann ich nicht glauben; ich trage die Gewißheit unserer Liebe in mir so innig, so tief, und ich sollte jemals glauben, daß sie untergehen könne?“

„Du hoffst noch? So höre mich ganz an. Ich muß dir ein tiefes Geheimnis sagen, an dem das Leben meines Vaters hängt. Mein Vater ist so sehr ein bitterer Feind des Bundes, als er ein Freund des Herzogs ist; er ist nicht nur deswegen hier, um sein Kind heimzuholen, nein, er sucht die Plane des Bundes zu erforschen und mit Geld und Rede zu verwirren. Und glaubst du, ein so bitterer Gegner des Bundes werde seine einzige Tochter einem Jüngling geben, der in unserem Verderben sich emporzuschwingen sucht? Einem, der sich an Menschen anschließt, die kein Recht, sondern nur Raub suchen?“

„Dein Eifer führt dich zu weit, Marie“, unterbrach sie der [105] Jüngling; „du mußt wissen, daß mancher Ehrenmann in diesem Heere dient.“

„Und wenn dies wäre“, fuhr jene eifrig fort, „so sind sie betrogen und verführt, wie auch du betrogen bist.“

„Wer sagt dir dies so gewiß“, entgegnete Georg, welcher errötete, die Partei, die er ergriffen, von einem Mädchen so erniedrigt zu sehen, obgleich er ahnete, daß sie so unrecht nicht habe; „wer sagt dir dies so gewiß? Kann nicht dein Vater auch verblendet und betrogen sein? Wie mag er nur mit so vielem Eifer die Sache dieses stolzen, herrschsüchtigen Mannes führen, der seine Edlen ermordet, der seine Bürger in den Staub tritt, der an seiner Tafel das Mark des Landes verpraßt und seine Bauern verschmachten läßt?“

„Ja, so schildern ihn seine Feinde,“ antwortete Marie, „so spricht man von ihm in diesem Heere, aber frage dort unten an den Ufern des Neckars, ob sie ihren angestammten Fürsten nicht lieben, wenngleich seine Hand zuweilen schwer auf ihnen ruht. Frage jene Männer, die mit ihm ausgezogen sind, ob sie nicht freudig ihr Blut für den Enkel Eberhards geben, ehe sie diesem stolzen Herzog von Bayern, diesen räuberischen Edlen, diesen Städtlern ihr Land abtreten.“[1]

Georg schwieg eine Zeitlang nachdenklich; „aber wie entschuldigen denn diese warmen Verteidiger den Mord des Hutten?“ fragte er.

„Ihr sprecht immer von eurer Ehre“, antwortete Marie, „und wollt nicht leiden, daß ein Herzog seine Ehre verteidige? Hutten ist nicht meuchelmörderisch gefallen, wie seine Anhänger in alle Welt ausgeschrieen haben, sondern im ehrlichen Kampfe, worin der Herzog selbst sein Leben einsetzte. Ich will nicht alles verteidigen, was er that; aber man soll nur auch bedenken, daß ein junger Herr, wie der Herzog, von schlechten Räten umgeben, nicht immer weise handeln kann. Aber er ist gewiß gut, und wenn du wüßtest, wie mild, wie leutselig er sein kann!“

„Es fehlt nur noch, daß du ihn auch den schönen Herzog


  1. Vgl. Anmerkung (18).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 104–105. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)