Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 072.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

mein Vater sei dem Bunde beigetreten, er hofft, mich durch sein Schwert zu verdienen, denn er ist arm, recht arm! O, Bertha, du kennst meinen Vater; er ist so gut, aber auch so strenge, wenn etwas seiner Meinung widerspricht. Wird er einem Manne seine Tochter geben, der sein Schwert gegen Württemberg gezogen hat? Siehe, das waren meine Thränen! Ach, ich wollte dir so oft sagen, warum sie fließen, aber eine unbesiegbare Scham schloß meine Lippen; kannst du mir noch zürnen? Muß ich mit dem Geliebten auch die Freundin verlieren?“

Auch Mariens Thränen flossen, und Bertha fühlte den eigenen Schmerz von dem größern Kummer der Freundin besiegt. Sie umarmte Marien schweigend und weinte mit ihr.

„In den nächsten Tagen“, fuhr diese fort, „will mein Vater Ulm verlassen, und ich muß ihm folgen. Aber noch einmal muß ich Georg sprechen, nur ein Viertelstündchen; Bertha, du kannst gewiß Gelegenheit geben; nur ein ganz kleines Viertelstündchen!“

„Du willst ihn doch nicht der guten Sache abwendig machen?“ fragte Bertha.

„Was nennst du die gute Sache?“ antwortete Marie. „Des Herzogs Sache ist vielleicht nicht minder gut als die eure; du sprichst so, weil ihr bündisch seid; ich bin eine Württembergerin, und mein Vater ist seinem Herzoge treu. Doch sollen wir Mädchen über den Krieg entscheiden? Laß uns lieber auf Mittel sinnen, ihn noch einmal zu sehen.“

Bertha hatte über der Teilnahme, mit welcher sie der Geschichte ihrer Base zugehört hatte, ganz vergessen, daß sie ihr jemals gram gewesen war. Sie war überdies für alles Geheimnisvolle eingenommen, daher kamen ihr diese Mitteilungen erwünscht; sie fühlte, wie wichtig und ehrenvoll der Posten einer Vertrauten sei und gab sich daher alle mögliche Mühe, dem liebenden Paare mit ihrem Scharfsinn zu dienen.

„Ich hab’s gefunden“, rief sie endlich aus, „wir laden ihn geradezu in den Garten.“

„In den Garten?“ fragte Marie schüchtern und ungläubig, „und durch wen?“

[99] „Sein Wirt, der gute Vetter Dieterich, muß ihn selbst bringen“, antwortete sie, „das ist herrlich, und dieser darf auch kein Wörtchen davon merken, laß nur mich dafür sorgen.“

Marie, entschlossen und stark bei großen Dingen, zitterte doch bei diesem gewagten Schritte. Aber ihre mutige, fröhliche Base wußte ihr alle Bedenklichkeiten auszureden, und mit zurückgekehrter, mit erneuerter Hoffnung und befreit von der Last des Geheimnisses, umarmten sich die Mädchen, ehe sie sich zur Ruhe legten.





VII.


 „Und wie ein Geist schlingt um den Hals
 Das Liebchen sich herum:
 ‚Willst mich verlassen, liebes Herz,
 Auf ewig?‘ und der bittre Schmerz
 Macht’s arme Liebchen stumm.“
 Schubart.[1]


Sinnend und traurig saß Georg am Mittag nach dem festlichen Abend in seinem Gemach. Er hatte Breitenstein besucht und wenig Tröstliches für seine Hoffnungen erfahren. Der Kriegsrat hatte sich an diesem Morgen versammelt, und unwiderruflich war der Krieg beschlossen worden. Zwölf Edelknaben waren, die Absagebriefe des Herzogs von Bayern, der Ritterschaft und gesamter Städte an ihre Lanzen geheftet, zum Göcklinger Thor hinausgejagt, um die Feindesbotschaft dem Württemberger nach Blaubeuren zu bringen. Auf den Straßen rief man einander fröhlich diese Nachricht zu, und die Freude, daß es jetzt endlich ins Feld gehen werde, stand deutlich auf allen Gesichtern geschrieben. Nur Einen traf diese Kunde wie das schreckliche Machtwort seines Schicksals. Der Gram trieb ihn aus dem Kreise der fröhlichen Gesellen, die jetzt den Weinstuben zuzogen, um in lautem Jubel das Geburtsfest des Krieges zu begehen und das Los künftiger Siege im Würfelspiel zu belauschen. Ach! ihm waren ja schon die Würfel


  1. Vierte Strophe aus Christian Friedr. Daniel Schubarts (1739–91) Kaplied: „Auf, auf! ihr Brüder, und seid stark etc.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 98–99. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_072.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)