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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

begonnen hatte, fiel ihr auf. Die ernste Base, die selten oder nie mit einem Mann lange sprach, schien mehr und angelegentlicher zu reden als ihr Tänzer. Die Musik hinderte sie zu verstehen, was gesprochen wurde; die Neugierde, die man vielleicht nicht mit Unrecht jungen Mädchen ausschließlich zuschreibt, wurde in ihr rege, sie zog ihren Tänzer näher an das vordere Paar, um – ein wenig zu lauschen; aber war es Zufall oder Absicht, das Gespräch verstummte, als sie näher kam, oder wurde so leise geführt, daß sie nichts davon verstand.

Ihr Interesse an dem schönen, jungen Mann wuchs mit diesen Hindernissen; noch nie war ihr der gute Vetter Kraft so lästig geworden als in diesen Augenblicken; denn die zierlichen Redensarten, womit er ihr Herz zu umspinnen gedachte, verhinderten sie, jene genauer zu beobachten. Sie war froh, als endlich der Tanz sich endigte. Denn sie durfte hoffen, daß der nächste an des jungen Ritters Seite desto angenehmer für sie sein werde.

Sie täuschte sich nicht in ihrer Hoffnung; Georg kam, sie um den nächsten Tanz zu bitten, der auch sogleich begann, und sie hüpfte fröhlich an seiner Seite in die Reihen. Aber es war nicht mehr derselbe, der vorhin mit Marien so freundlich gesprochen hatte. Verstört, einsilbig, in tiefe Gedanken versunken war der junge Mann an ihrer Seite, und es war nur zu sichtbar, daß er sich immer erst wieder sammeln mußte, wenn er eine ihrer Fragen beantworten sollte.

War dies jener „höfliche Reiter“, welcher sie, ohne daß sie sich je gesehen hatten, so freundlich grüßte? War es derselbe, welcher so heiter, so fröhlich war, als ihn Vetter Kraft zu ihnen führte? Derselbe, der mit Marien so eifrig sich unterredet hatte? Oder sollte diese –? ja, es war klar. Marie hatte ihm besser gefallen, ach! vielleicht weil sie die erste war, die mit ihm tanzte. Je weniger Bertha gewohnt war, sich der ernsten Marie nachgesetzt zu sehen, um so mehr befremdete sie dieser Sieg ihrer Base, um so mehr glaubte sie sich beeifern zu müssen, ihren Rang, ihre Gaben geltend zu machen. Sie setzte daher mit ihrer heiteren Geschwätzigkeit das Gespräch über den bevorstehenden Krieg, das sie mit Mühe angesponnen hatte, fort, als sie nach Beendigung des Tanzes zu [95] Marie und dem Ratsschreiber traten. „Nun? und der wievielste Feldzug ist es denn, Herr von Sturmfeder, dem Ihr jetzt beiwohnet?“

„Es ist mein erster“, antwortete dieser kurz abgebrochen, denn er war unmutig darüber, daß jene ihn noch immer im Gespräch halte, da er mit Marie so gerne gesprochen hätte.

„Euer erster?“ entgegnete Bertha verwundert, „Ihr wollt mir etwas weismachen, da habt Ihr ja schon eine mächtige Narbe auf der Stirne.“

„Die bekam ich auf der hohen Schule“, antwortete Georg.

„Wie? Ihr seid ein Gelehrter?“ fragte jene eifrig weiter. „Nun, und da seid Ihr gewiß recht weit weg gewesen; etwa in Padua oder Bologna, oder gar bei den Ketzern in Wittenberg.“

„Nicht so weit, als Ihr meint“, entgegnete er, indem er sich zu Marien wandte, „ich war in Tübingen.“

„In Tübingen?“ rief Bertha voll Verwunderung. Wie ein Blitz erhellte dies einzige Wort alles, was ihr bisher dunkel war, und ein Blick auf Marien, die mit niedergeschlagenen Augen, mit der Röte der Scham auf den Wangen vor ihr stand, überzeugte sie, daß die lange Reihe von Schlüssen, die sich an jenes Wort anschlossen, ihren nur zu sicheren Grund haben. Jetzt war ihr auf einmal klar, warum sie der artige Reiter begrüßte, warum Marie weinte, die ihn gewiß gerne auf der feindlichen Seite gesehen hätte, warum er so viel mit jener gesprochen, warum er bei ihr selbst so einsilbig war. Es war keine Frage, sie kannten sich, sie mußten sich längst gekannt haben.

Beschämung war das erste Gefühl, das bei dieser Entdeckung Berthas Herz bestürmte; sie errötete vor sich selbst, wenn sie sich gestand, nach der Aufmerksamkeit eines Mannes gestrebt zu haben, dessen Seele ein ganz anderer Gegenstand beschäftigte. Unmut über Mariens Heimlichkeit verfinsterte ihre Züge. Sie suchte Entschuldigung für ihr eigenes Betragen und fand sie nur in der Falschheit ihrer Base. Hätte diese ihr gestanden, in welchem Verhältnis sie zu dem jungen Manne stehe, sie hätte ihr nie ihre Teilnahme an ihm gezeigt, er wäre ihr dann, meinte sie, höchst gleichgültig geblieben, sie hätte nie diese Beschämung erfahren. Wir

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 94–95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_070.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)