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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Sage erzählt, ist die Freude am Tanzen nicht erst in unseren Tagen über die Mädchen gekommen.

Auch seine Anordnungen waren bald getroffen. Es war noch nicht zum Grundsatz geworden, daß man nur in einer langen Reihe von Zimmern, bei flimmernden Lustres, umgeben von jenen unzähligen, unwesentlichen Dingen, welche die Mode als notwendig preist, fröhlich sein könne. Der Rathaussaal gab hinlänglichen Raum, und die kunstlosen Lampen, die an den Wänden aufgehängt waren, hatten bisher Helle genug verbreitet, die schönen Jungfrauen von Ulm in ihrer Pracht zu sehen.

Doch nicht seine Anordnungen allein waren dem Ratsschreiber gelungen, er hatte nebenbei auch manche geheime Nachricht erspäht, die bis jetzt nur der engere Ausschuß des Rates mit den Bundesobersten teilte.

Zufrieden mit dem Erfolg seiner vielen Geschäfte kam er gegen Mittag nach Hause, und sein erster Gang war, nach seinem Gaste zu sehen. Er traf ihn in sonderbarer Arbeit. Georg hatte lange in einem schöngeschriebenen Chronikbuch, das er in seinem Zimmer gefunden hatte, geblättert. Die reinlich gemalten Bilder, womit die Anfangsbuchstaben der Kapitel unterlegt waren, die Triumphzüge und Schlachtenstücke, welche, mit kühnen Zügen entworfen, mit besonderem Fleiße ausgemalt, hin und wieder den Text unterbrachen, unterhielten ihn geraume Zeit. Dann fing er an, erfüllt von den kriegerischen Bildern, die er angeschaut hatte, seinen Helm und Harnisch und das vom Vater ererbte Schwert zu reinigen und blank zu machen, indem er zu großem Ärgernis der Frau Sabine bald lustige, bald ernstere Weisen dazu sang.

So traf ihn sein Gastfreund. Schon unten an der Treppe hatte er die angenehme Stimme des Singenden vernommen; er konnte sich nicht enthalten, noch einige Zeit an der Thüre zu lauschen, ehe er den Gesang unterbrach.

Es war eine jener ernsten, beinahe wehmütig-tönenden Weisen, wie sie durch ihren innern Wert erhalten und fortgetragen bis auf unsere Tage herabkamen. Noch heute leben sie in dem Munde der Schwaben, und oft und gerne haben wir, ergriffen [85] von ihrer einfachen Schönheit, von den gehaltenen Klängen ihrer vollen Akkorde, an den lieblichen Ufern des Neckars sie belauscht.

Der Sänger begann von neuem:

[1]„Kaum gedacht
War der Lust ein End’ gemacht.
Gestern noch auf stolzen Rossen,
Heute durch die Brust geschossen,
Morgen in das kühle Grab.

Doch was ist
Aller Erden Freud’ und Lüst’.
Prangst du gleich mit deinen Wangen,
Die wie Milch und Purpur prangen,
Sieh’, die Rosen welken all’.

Darum still
Geb’ ich mich, wie Gott es will.
Und wird die Trompete blasen,
Und muß ich mein Leben lassen,
Stirbt ein braver Reitersmann.“

„Wahrlich, Ihr habt eine schöne Stimme“, sagte Herr von Kraft, als er in das Gemach eintrat, „aber warum singet Ihr so traurige Lieder? Ich kann mich zwar nicht mit Euch messen, aber was ich singe, muß fröhlich sein, wie es einem jungen Mann von achtundzwanzig geziemt.“

Georg legte sein Schwert auf die Seite und bot seinem Gastfreunde die Hand. „Ihr mögt recht haben“, sagte er, „was Euch betrifft; aber wenn man zu Feld reitet wie wir, da hat ein solches Lied große Gewalt und Trost, denn es gibt auch dem Tode eine milde Seite.“

„Nun, das ist ja gerade, was ich meine“, entgegnete der Schreiber des Großen Rates, „wozu soll man das auch noch in schönen Verslein besingen, was leider nur zu gewiß nicht ausbleibt. Man soll den Teufel nicht an die Wand malen, sonst kommt er, sagt ein Sprüchwort; übrigens hat es damit keine Not, wie jetzt die Sachen stehen.“


  1. Vgl. „Gedichte“, oben, S. 20.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 84–85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)