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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

flinken Tänzer verspreche!“ Damit wünschte er seinem Gast einen guten Morgen und ermahnte ihn, wenn er ausgehe, sein Haus zu merken und das Mittagessen nicht zu versäumen.

Herr Dieterich hatte als sehr naher Verwandter schon so frühe am Tag Zutritt im Hause des Herrn von Besserer, besonders heute, da ihn seine vielen Geschäfte bei diesem Morgenbesuche entschuldigten.

Er fand die Mädchen noch beim Frühstück. Wohl hätte dort manche unserer heutigen Damen ein elegantes Dejeuner von gemaltem Porzellain und den nach den schönsten antiken Vasen geformten Schokoladebecher vermißt. Aber, wenn es wahr ist, daß natürliche Anmut und Würde auch im geringsten Kleide sich dem Auge nicht verhüllen, so dürfen wir schon mit mehr Mut gestehen, daß Marie und die fröhliche Bertha an jenem Morgen ein Biersüppchen verspeisten. Ob aber dieses Geständnis der ästhetischen Haltung dieser Damen nicht Eintrag thut? Es mag sein; wer übrigens Marien und Bertha in dem weißen Morgenhäubchen, in dem reinlichen Hauskleide gesehen hätte, würde gewiß auch wie Vetter Kraft Verlangen getragen haben, dieses Frühstück mit den holden Mädchen zu teilen.

„Ich sehe dir es an, Vetter“, begann Bertha, „du möchtest gar zu gerne von unserer Suppe kosten, weil dir deine Amme heute einen Kinderbrei vorgesetzt hat: aber schlage dir diese Gedanken nur gleich aus dem Sinne; du hast Strafe verdient und mußt fasten –“

„Ach, wie wir so sehnlich auf Euch gewartet haben“, unterbrach sie Marie.

„Jawohl“, fiel ihr Bertha in die Rede, „aber bilde dir nur nicht ein, daß wir eigentlich dich erwarteten; nein, ganz allein deine Neuigkeiten.“

Der Ratsschreiber war schon gewohnt, von Bertha so empfangen zu werden; er wollte daher, um sie zu versöhnen, daß er nicht gestern abend noch ihre Neugierde befriedigt habe, seine Nachrichten in desto längerem Strome geben; aber Bertha unterbrach ihn: „Wir kennen“, sagte sie, „deine breiten Erzählungen und haben auch das meiste vom Erker aus selbst mit angesehen; von eurem [81] Trinkgelage, wo es arg genug hergegangen sein soll, will ich auch nichts wissen, darum antworte mir auf meine Frage.“ Sie stellte sich mit komischem Ernst vor ihn hin und fuhr fort: „Dieterich von Kraft, Schreiber eines wohledlen Rates, habt Ihr unter den Bündischen keinen jungen, überaus höflichen Herrn gesehen, mit langem, hellbraunem Haar, einem Gesicht, nicht so milchweiß wie das Eure, aber doch nicht minder hübsch, kleinem Bart, nicht so zierlich wie der Eure, aber dennoch schöner, hellblauer Schärpe mit Silber …“

„Ach, das ist kein anderer als mein Gast“, rief Herr Dieterich, „er ritt einen großen Braunen, trug ein blaues Wams, an den Schultern geschlitzt und mit Hellblau ausgelegt?“

„Ja, ja, nur weiter“, rief Bertha, „wir haben unsere eigenen Ursachen, uns nach ihm zu erkundigen.“

Marie stand auf und suchte ihr Nähzeug in dem Kasten, indem sie den beiden den Rücken zukehrte; aber die Röte, die alle Augenblicke auf ihren Wangen wechselte, ließ ahnen, daß sie kein Wort von Herrn Dieterichs Erzählung verlor.

„Nun, das ist Georg von Sturmfeder“, fuhr der Ratschreiber fort, „ein schöner, lieber Junge. Sonderbar, auch ihr seid ihm gleich beim Einzug aufgefallen“ – und nun erzählte er, was am Gastmahl vorgegangen sei, wie ihm der hohe Wuchs, das Gebietende und Anziehende in des Jünglings Mienen gleich anfangs aufgefallen, wie ihn der Zufall zu seinem Nachbar gemacht, wie er ihn immer lieber gewonnen und endlich in sein Haus geführt habe.

„Nun, das ist schön von dir, Vetter“, sagte Bertha, als er geendet hatte, und reichte ihm freundlich die Hand, „ich glaube, es ist das erste Mal, daß du es wagst, Gäste zu haben. Aber das Gesicht der alten Sabine hätte ich sehen mögen, als Junker Dieter so spät noch einen Gast brachte.“

„O, sie war wie der Lindwurm gegen Sankt Georg; aber als ich ihr ganz verblümt zu verstehen gab, es könne wohl geschehen, daß ich bald eine meiner schönen Basen heimführen werde …“

„Ach, geh doch!“ entgegnete Bertha, indem sie ihm hocherrötend ihre Hand entreißen wollte; aber Herr Dieterich, dem

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 80–81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_063.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)