Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 059.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Als Georg die Tafel verlassen hatte, wandte sich Frondsberg zu Waldburg: „Das ist nicht die Art, Herr Truchseß, wie man tüchtige Gesellen für unsere Sache gewinnt, ich wette, er ging nicht mit halb so viel Eifer für die Sache von uns, als er zu uns brachte.“

„Müßt Ihr dem jungen Laffen auch noch das Wort reden?“ fuhr jener auf, „was braucht es da? er soll einen Spaß von seinem Oberen ertragen lernen.“

„Mit Verlaub“, fiel ihm Breitenstein ins Wort, „das ist kein Spaß, sich über unverschuldete Armut lustig zu machen, ich weiß aber wohl, Ihr seid seinem Vater auch nie grün gewesen.“

„Und“, fuhr Frondsberg fort, „sein Oberer seid Ihr ganz und gar noch nicht. Er hat dem Bunde noch keinen Eid geleistet, also kann er noch immer hinreiten, wohin er will; und wenn er auch unter Euren eigenen Fahnen diente, so möchte ich Euch doch nicht raten, ihn zu hänseln, er sieht mir nicht darnach aus, als ob er sich viel gefallen ließe!“

Sprachlos vor Zorn über den Widerspruch, den er in seinem Leben nie ertragen konnte, blickte Truchseß den einen und den andern an, mit so wutvollen Blicken, daß sich Ludwig von Hutten schnell ins Mittel warf, um noch ärgeren Streit zu verhüten: „Laßt doch die alten Geschichten!“ rief er. „Überhaupt wäre es gut, wir heben die Tafel auf. Es dunkelt draußen schon stark, und der Wein wird zu mächtig. Dieterich Spät hat schon zweimal des Württembergers Tod ausgebracht, und die Franken dort unten sind nur noch nicht einig, ob man seine Schlösser niederbrennen oder verteilen soll.“

„Laßt sie immer“, lachte Waldburg bitter, „die Herren dürfen ja heute machen, was sie wollen, Frondsberg wird ihnen doch das Wort reden.“

„Nein“, antwortete Ludwig Hutten; „wenn einer von so etwas reden darf, bin ich es, als der Bluträcher meines Sohnes; aber ehe noch der Krieg erklärt ist, müssen solche Reden unterbleiben. Mein Vetter Ulerich spricht mir auch zu heftig mit den Italienern über den Mönch von Wittenberg, und er verschwatzt sich zu sehr, wenn er in Zorn geratet. Laßt uns aufbrechen.“

[73] Frondsberg und Sickingen stimmten ihm bei, sie standen auf, und als die nächsten um sie her ihrem Beispiel folgten, war der Aufbruch allgemein.





IV.


 Wollt ihr wissen, was die Augen sein,
 Womit ich sie sehe durch alle Land’?
 Es sind die Gedanken des Herzens mein,
 Damit schau’ ich durch Mauer und Wand.

 Walther von der Vogelweide.[1]


Georg hatte in dem Fenster, wohin er sich zurückgezogen, nicht so entfernt gestanden, daß er nicht jedes Wort der Streitenden gehört hätte. Er freute sich der warmen Teilnahme, mit welcher Frondsberg sich des unberühmten, verwaisten Jünglings angenommen hatte, zugleich aber konnte er es sich nicht verbergen, daß sein erster Schritt in die kriegerische Laufbahn ihm einen mächtigen, erbitterten Feind zugezogen hatte. Der Truchseß war zu bekannt im Heere wegen seines unversöhnlichen Stolzes, als das Georg hätte glauben dürfen, Huttens vermittelnde und besänftigende Worte haben jede Erinnerung an diesen Streit verlöscht, und daß Männer von Gewicht, wie Waldburg, in solchen Fällen der vielleicht unschuldigen Ursache ihres Zornes die Schuld nicht erlassen, war ihm aus manchen Fällen wohlbekannt. Ein leichter Schlag auf seine Schulter unterbrach seine Gedanken, und er sah, als er sich umwandte, seinen freundlichen Nebensitzer, den Schreiber des Großen Rates, vor sich.

„Ich wette, Ihr habt Euch noch nach keinem Quartier umgesehen“, sprach Dieterich von Kraft, „und es möchte Euch auch jetzt etwas schwer werden, denn es ist bereits dunkel, und die Stadt ist überfüllt.“


  1. Anfang der 4. Strophe von Walthers Lied:

    „Sumer unde winter beide sint
    guotes mannes trôst, der trôstes gert“ etc.

    (In Lachmanns Ausgabe der Gedichte Walthers v. d. Vogelweide, S. 99.)

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 72–73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)