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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

gegenüberstellen, ohne sein ganzes Glück zu vernichten? Und ist der Vater auf feindlicher Seite, kann Marie möglicherweise noch in jenen Mauern sein. Und wenn alles gut wäre, wenn unter der festlichen Menge, die sich zum Anblick des einziehenden Heeres drängt, auch Marie auf ihn herabschaut, hat sie auch die Treue noch bewahrt, die sie geschworen? –“

Doch der letzte Gedanke machte bald einer freudigeren Gewißheit Raum, denn wenn sich auch alles Unglück gegen ihn verschwor, Mariens Treue, er wußte es, war unwandelbar. Mutig drückte er die Schärpe, die sie ihm gegeben, an seine Brust, und als jetzt die Ulmer Reiterei sich an den Zug anschloß, als die Zinken und Trompeten ihre mutigen Weisen anstimmten, da kehrte seine alte Freudigkeit wieder, stolzer hob er sich im Sattel, kühner rückte er das Barett in die Stirne, und als der Zug in die festlich geschmückten Straßen einbog, musterte sein scharfes Auge alle Fenster der hohen Häuser, um sie zu erspähen.

Da gewahrte er sie, wie sie ernst und sinnend auf das fröhliche Gewühl hinabsah, er glaubte zu erkennen, wie ihre Gedanken in weiter Ferne den suchten, der ihr so nahe war, schnell drückte er seinem Pferde die Sporen in die Seite, daß es sich hoch aufbäumte und das Pflaster von seinem Hufschlag ertönte. Aber als sie sich zu ihm herabwandte, als Auge dem Auge begegnete, als ihr freudiges Erröten dem Glücklichen sagte, daß er erkannt und noch immer geliebt sei, da war es um die Besinnung des guten Georg geschehen; willenlos folgte er dem Zuge vor das Rathaus, und es hätte nicht viel gefehlt, so hätte ihn seine Sehnsucht alle Rücksichten vergessen lassen und unwiderstehlich zu dem Eckhaus mit dem Erker hingezogen.

Schon hatte er die ersten Schritte nach jener Seite gethan, als er sich von kräftiger Hand am Arm angefaßt fühlte.

„Was treibet Ihr, Junker?“ rief ihm eine tiefe, wohlbekannte Stimme ins Ohr, „dort hinauf geht es die Rathaustreppe. Wie? ich glaube, Ihr schwindelt, wäre auch kein Wunder, denn das Frühstück war gar zu mager. Seid getrost, Freundchen, und kommt. Die Ulmer führen gute Weine, wir wollen Euch mit altem Ramsthäler anstreichen.“

[63] Wenn auch der Fall aus seinem Freudenhimmel, in welchem er einige Minuten geschwebt hatte, auf den Rathausplatz in Ulm etwas unsanft war, so wußte er doch dem alten Herrn von Breitenstein, seinem nächsten Grenznachbar in Franken, Dank, daß er ihn aus seinen Träumen aufgeschüttelt und von einem übereilten Schritte zurückgehalten hatte.

Er nahm daher freundlich den Arm des alten Herrn und folgte mit ihm den übrigen Rittern und Herren, die sich von dem scharfen Morgenritte an der guten Mittagskost, die ihnen die freie Reichsstadt aufgesetzt hatte, wieder erholen wollten.





III.


 „Ich höre rauschende Musik, das Schloß ist
 Von Lichtern hell. Wer sind die Fröhlichen?“
 Schiller.[1]


Der Saal des Rathauses, wohin die Angekommenen geführt wurden, bildete ein großes, längliches Viereck. Die Wände und die zu der Größe des Saales unverhältnismäßig niedere Decke waren mit einem Getäfel von braunem Holz ausgelegt, unzählige Fenster mit runden Scheiben, worauf die Wappen der edlen Geschlechter von Ulm mit brennenden Farben gemalt waren, zogen sich an der einen Seite hin, die gegenüberstehende Wand füllten Gemälde berühmter Bürgermeister und Ratsherrn der Stadt, die beinahe alle in der gleichen Stellung, die Linke in die Hüfte, die Rechte auf einen reichbehängten Tisch gestützt, ernst und feierlich auf die Gäste ihrer Enkel herabsahen. Diese drängten sich in verworrenen Gruppen um die Tafel her, die, in Form eines Hufeisens aufgestellt, beinahe die ganze Weite des Saales einnahm. Der Rat und die Patrizier, die heute im Namen der Stadt die Honneurs machen sollten, stachen in ihren zierlichen Festkleidern mit den steifen, schneeweißen Halskrausen wunderlich ab gegen ihre bestaubten Gäste, die, in Lederwerk und Eisenblech


  1. „Wallensteins Tod“, 5. Aufzug, 4. Auftritt.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 62–63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)