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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

es war nicht zu zweifeln, daß er dann großen Anhang bekommen würde; gelang es dem Bunde, den Herzog aus dem Felde zu schlagen, dann wehe ihm, wo so vieles zu rächen war, durfte er keine Schonung erwarten.

Die Blicke Deutschlands hingen bange an dem Erfolg dieses Kampfes, sie suchten begierig durch den Vorhang des Schicksals zu dringen und zu erspähen, was die künftigen Tage bringen werden, ob Württemberg gesiegt, ob der Bund den Walplatz behauptet habe. Wir rollen diesen Vorhang auf, wir lassen Bild an Bild vorüberziehen, möge das Auge nicht zu frühe ermüdet sich davon abwenden.

Oder sollte es ein zu kühnes Unternehmen sein, eine historische Sage der Vorzeit in unsern Tagen wiederzuerzählen? Sollte es unbillig sein, zu wünschen, daß sich die Aufmerksamkeit des Lesers einige kurze Stunden nach den Höhen der Schwäbischen Alb und nach den lieblichen Thälern des Neckars wende?

Die Quellen des Susquehanna und die malerischen Höhen von Boston, die grünen Ufer des Tweed und die Gebirge des schottischen Hochlandes, Altenglands lustige Sitten und die romantische Armut der Galen, leben, Dank sei es dem glücklichen Pinsel jener berühmten Novellisten, auch bei uns in aller Munde. Begierig liest man in getreuen Übertragungen, die wie Pilze aus der Erde zu wachsen scheinen, was vor 60 oder 600 Jahren in den Gefilden von Glasgow oder in den Wäldern von Wallis sich zugetragen. Ja, wir werden bald die Geschichte der drei Reiche so genau innehaben, als hätten wir sie nach den gelehrtesten Forschungen ergründet. Und doch ist es meist nur der große Unbekannte, der uns die Bücher seiner Chroniken erschloß und Bild an Bild in unendlicher Reihe vor dem staunenden Auge vorüberführte; er ist es, der diesen Zauber bewirkte, daß wir in Schottlands Geschichte beinahe besser bewandert sind als in der unserigen, und daß wir die religiösen und weltlichen Händel unserer Vorzeit bei weitem nicht so deutlich kennen als die Presbyterianer und Episkopalen[1] Albions.

[49] Und in was besteht der Zauber, womit jener unbekannte Magier unsere Blicke und unsere Herzen nach den „bergigten Heiden“ seines Vaterlandes zog? Vielleicht in der ungeheuern Masse dessen, was er erzählt, in der grauenvollen Anzahl von hundert Bänden, die er uns über den Kanal schickte? Aber auch wir haben mit Gottes und der Leipziger Messen Hülfe Männer von achtzig, hundert und hundertundzwanzig! Oder haben vielleicht die Berge von Schottland ein glänzenderes Grün als der deutsche Harz, der Taunus und die Höhen des Schwarzwaldes; ziehen die Wellen des Tweed in lieblicherem Blau als der Neckar und die Donau, sind seine Ufer herrlicher als die Ufer des Rheins? Sind vielleicht jene Schotten ein interessanterer Menschenschlag als der, den unser Vaterland trägt, hatten ihre Väter röteres Blut als die Schwaben und Sachsen der alten Zeit, sind ihre Weiber liebenswürdiger, ihre Mädchen schöner als die Töchter Deutschlands? Wir haben Ursache daran zu zweifeln, und hierin kann also jener Zauber des Unbekannten nicht liegen.

Aber darin liegt er wohl, daß jener große Novellist auf historischem Grund und Boden geht, nicht als ob der unserige weniger geschichtlich wäre, aber wir haben ja schon seit Jahrhunderten uns angewöhnt, unter fremdem Himmel zu suchen, was bei uns selbst blühte, und wie wir die rohen Stoffe ausführen, um sie in anderer Form mit Bewunderung und Ehrfurcht als teure Kleinode wieder in unsere Grenzen aufzunehmen; so bewundern wir jedes Fremde und Ausländische nicht, weil es groß oder erhaben, sondern weil es nicht in unseren Thälern gewachsen ist.

Doch auch wir hatten eine Vorzeit, die, reich an bürgerlichen Kämpfen, uns nicht weniger interessant dünkt als die Vorzeit des Schotten; darum haben auch wir gewagt, ein historisches Tableau zu entrollen, das, wenn es auch nicht jene kühnen Umrisse der Gestalten, jenen zauberischen Schmelz der Landschaft aufweist, und wenn das an solche Herrlichkeiten gewöhnte Auge umsonst die süße, bequeme Magie der Hexerei und den von Zigeunerhand geschürzten Schicksalsknoten darin sucht, ja wenn sogar


  1. Presbyterianer heißt eine englische Kirchenpartei, die im Gegensatz zu [49] der bischöflichen Verfassung der anglikanischen Kirche, den Episkopalen, die Grundsätze der Schweizer Reformatoren angenommen hat.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 48–49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_047.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)