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Worte zu kleiden, macht diese ungeheure Schnelligkeit einigermaßen begreiflich.

Die Quelle dieses Werkes ist lediglich die Phantasie des Dichters, sein eignes Leben, seine Umgebung und das schwäbische Volk. Das Liebesleben des Helden und der Marie von Lichtenstein ist ein Spiegelbild seines eignen, das ja auch während der Studienzeit in Tübingen begann. Zu den geschichtlichen Gestalten hat ihm die Geschichte den Vorwurf gegeben, deren dichterische Verklärung ist aber sein eignes Werk. Das Schwabenvolk verkörpert er im Pfeifer von Hardt und seiner Familie; von den Gestalten, die an seine Umgebung erinnern, ist die ängstlich sorgende Amme des Ulmer Ratsschreibers zu nennen, in der die alte Haushälterin seines Großvaters, die Jungfer Sitzlerin, verewigt sein wird. Die Werke, an welche sich der geschichtliche Faden des Romans knüpft, führt Hauff selbst in seinen Anmerkungen auf; es sind vor allem die Werke von Tethinger, Sattlers „Geschichte der Herzoge“ und Pfaffs „Geschichte Wirtenbergs“.

Als eine Vorarbeit für den „Lichtenstein“ bezeichnet Professor Klaiber ein jetzt in seinen Händen befindliches Manuskript Hauffs, das eine Besprechung Walter Scotts und seiner Romane enthält.

Was Hauff zur Abfassung seines Romans bewogen hat, teilt er uns deutlich genug selbst in der Einleitung des Werkes mit. Als eifriger Leser und Verehrer W. Scotts tritt er in dessen Fußstapfen, nicht nur um sich in einer Nachahmung des gefeierten Briten zu versuchen, sondern mehr, um ihn gewissermaßen zu ersetzen, um den Deutschen zu zeigen, daß sie ihre Vorliebe für die Vergangenheit nicht aus englischer und schottischer Geschichte oder Sage allein zu befriedigen brauchen, daß auch die Vorzeit ihres eignen Volkes voll ist von würdigen Ereignissen und Charakteren, daß sich in den herrlichen Gegenden des Rhein- und Neckarthales nicht minder anmutig wandeln läßt als in dem romantischen schottischen Hochland.

Und wie richtig er das Gefühl seines Volkes erkannt, wieviel er von seinem Meister gelernt hatte, das beweist deutlich die günstige Aufnahme, die sein „Lichtenstein“ sofort in ganz Deutschland fand.

Unter den zeitgenössischen Rezensionen stellen die meisten, besonders die vor Hauffs Tode erschienenen, den „Lichtenstein“ über seine bisher veröffentlichten Werke; alle aber erkennen einstimmig das Talent des Verfassers und die Schönheiten des Romans an, nicht ohne seine Fehler und Schwächen zu fühlen. Der „Wegweiser“ Nr. 63 der „Abenzeitung“ vom 9. August 1826 schreibt darüber:

„Jedenfalls gebührt diesen Bänden der Vorzug vor den früheren [39] Schriften und man sieht mit Vergnügen, wie dieses vielseitige Talent sich eine andere Bahn bricht und versucht, welche wohl die sein dürfte, die für ihn zum Vorschreiten zum Ziele die geeignetste sei … Mit dem schönen und achtenswerten Bestreben, einem durch den Zeitgeist und andere Einwirkungen großenteils verkannten Charakter Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, hat er aus der langen und interessanten Folge der württembergischen Herzöge eben diesen ausgewählt, von dem er selbst in der Einleitung sagt: ‚Man hat ihn vielfach angefeindet u. s. w.‘ … An diese Begebenheiten knüpft sich die mit bleibendem Interesse durchgeführte Liebes- und Lebensgeschichte des trefflichen Ritters Georg von Sturmfeder und seiner Maria von Lichtenstein an … Ungemein kräftig und wahr sind sämtliche Charaktere gezeichnet … Ebenso sind einzelne Szenen mit einer Treue und Sicherheit der Hand gemalt, welche dem Verfasser große Ehre bringen und von Kenntnis der Vorzeit wie von hoher Phantasie in Ausarbeitung der Details zeigen.“

Die folgende Kritik, vielleicht unter allen die fachgemäßeste und anerkennenswerteste, erschien in Nr. 114 des „Litterarischen Konversationsblattes“ vom 16. November 1826. Sie lautet in der Hauptsache folgendermaßen:

„… Er (d. i. W. Scott) hat den Ton getroffen; sollte dies aber eine so ganz besondere Tonkunst sein, daß sie sich nur bei englischen Thematen brauchen ließe? Hier sehen wir einen Deutschen von Talent, der die ‚Memoiren des Satan‘ herausgibt, der schon einen hochberühmten deutschen Schriftsteller durch seinen Mondmann in einen translunarischen Ärger versetzt hat, an die Saiten rühren, recht geschickt und talentvoll; der Stoff scheint ergiebig, es ist auch ein Roman, ein historischer Roman, und einer, den man zu den bessern zählen muß, daraus geworden; aber gegen den Scottschen gehalten, kann er nicht so bestehen, daß wir Deutsche uns in die Brust werfen könnten. Der Grund scheint nicht im Talent des Autors zu liegen; wenigstens zeigt Herr Hauff auch in diesem ‚Lichtenstein‘, daß wir bei einer gediegenen Ausbildung desselben noch Treffliches von ihm erwarten können. Dann im Stoff? – Der Stoff ist vielleicht interessanter als die meisten zu den bessern schottischen Romanen des großen Unbekannten; und doch hat letzterer dem seinigen ein mehres Interesse zu geben gewußt.“ Es folgt nun eine Erläuterung der Erfordernisse zu einem historischen Romane und eine Darlegung der Gründe, weshalb sich die englische Geschichte mehr dazu eigne als die deutsche. „Der talentvolle Verfasser hat versucht, ein höheres Leben hineinzubringen; man sieht die

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 38–39. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_042.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)