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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

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Süße Hoffnung schwellt die Mutterbrust,

Daß die Blüte werd’ zur Knospe keimen,
Früchte sieht sie in den süßen Träumen.
Heil’ge, reine Mutterliebe,
Daß sich nie dein stiller Himmel trübe!

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     Mutterliebe!

Allerheiligstes der Liebe!
Dir ertönten jener Engel Chöre,
Als der Herr zur Erde niederstieg,
Wollt’ er an der Mutterlieb’ erwarmen

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Und erwachte in der Mutter Armen.


 Sinket nieder,
 Schwestern, Brüder,
Fleht zu dem, der Mutterlieb’ gekannt,
Der sie schuf, sein reinstes Seelenband,

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Fleht mit uns, ihr Geister unsrer Lieben,

Tragt es aufwärts unser kindlich Flehn,
Tragt’s hinauf zu jenen Sternenhöhn,
Werft euch nieder vor des Vaters Thron,
Fallet nieder vor der Mutter Sohn,

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Daß auf uns er seine Gnade senke,

Und den süßen Trost uns immer schenke –
Das segensvolle Heiligtum der Liebe,
Der Mutterliebe!


Zum 18. Juni 1824.[1]

So nahst du wieder, holde Siegesfeier,
Die unsre Brust mit süßen Träumen füllt,
Die mit der Freude dichtgewebtem Schleier
Das trübe Bild der Gegenwart verhüllt;

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[7] Du nahst – und alle Herzen schlagen freier,

Gesang und Jubel tönet durchs Gefild’,
Und meiner Brüder frohe Blicke sagen:
„Es war mein Volk, das diese Schlacht geschlagen!“

     Es war mein Volk! und nicht die frohen Binden

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Von Eichlaub sollten schmücken das Gelag’;

Wohl sollten wir Cypressenkränze winden,
Um mancher Hoffnung frühen Sarkophag;
Doch – den Gefallnen laßt uns Kränze winden,
Und einmal noch am frohen Siegestag,

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Weil rings um uns des Sieges Früchte welken,

Laßt uns in der Erinnrung Träumen schwelgen.

     Drum grüß’ ich dich, du Feld, wo sie gefallen,
Wo froh ihr Aug’ im Siegesdonner brach!
Drum grüß’ ich euch in euern Wolkenhallen,

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Ihr Tapfern, die ihr tilgtet unsre Schmach!

Euch tapfern Sängern, euch, ihr Helden allen,
Euch tönen unsre Liebesgrüße nach,
Und euch, die ihr dem Auge schnell entschwunden,
Der jungen Freiheit kurze Frühlingsstunden!

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     Und hätte man den Denkstein euch zerschlagen

Und eure Kränze in den Staub gedrückt:
Die Blumen haben in des Frühlings Tagen
Der Helden Grab mit neuem Grün geschmückt.
So keimt auch unsre Hoffnung unter Klagen;

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Denn ob der Sturm sie Blatt für Blatt zerpflückt,

Neu sproßt sie aus dem Hügel eurer Leichen,
Und Gott wird wachen über ihren Zweigen.

 * * *

     Wo Eine Glut die Herzen bindet,
Wo Aug’ dem Auge nur verkündet,

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Was Sehnsucht in dem Herzen spricht;

Wo, wenn der Sturm die Form zerspaltet,
Die Gottheit in den Trümmern waltet,
Kennt man der Liebe Trennung nicht.


  1. Der 18. Juni ist der Jahrestag der Schlacht bei Belle-Alliance. Das Andenken an diesen Tag wurde damals in der Burschenschaft festlich begangen, und zu dieser Feier hat Hauff obige Gedichte geliefert.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 6–7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_026.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)