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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Zu dem schönsten des Ganzen gehört unzweifelhaft gleich der erste Teil, die biographische Betrachtung nach der heiteren Einleitung. Hier haben wir einen echten Schatz aus der Tiefe seines Herzens und seiner Jugenderinnerungen, jenes Gedenken der harmlosen, wilden, lustigen Knabenjahre, des ersten nachhaltigen Kindesschmerzes, der heiteren Natur in dem schönen Alpthale, der ersten eingebildeten Jugendliebe mit ihrem Schwanken von einer hold Lächelnden zur andern; und dann nach einer höheren Reife das lustige Studentenleben mit seiner Unbändigkeit und seiner unbeschreiblichen Schwärmerei und endlich die erste Zeit der wirklichen Jünglingsliebe, alles dies ist mit so unendlichem Reiz geschrieben wie selten in dieser Kürze und Fülle ein Lebensabriß. Und dann das eigentliche Phantasiegemälde mit seinen gravitätischen Gestalten und seinem leichtfüßigen Humor! Das Ganze ein toller Schwank, mit Lust und Liebe den Freunden des Weines dargebracht mit lebendigster Erinnerung an die zwölf Apostel im Ratskeller zu Bremen.

Und nun kommen wir zum Schluß zu Hauffs letzten Dichtergaben, zu seinen Novellen. Drei von den sechs, die er uns hinterlassen hat, haben wir für unsere Ausgabe als die besten und eigenartigsten ausgewählt, die „Bettlerin vom Pont des Arts“, „Jud Süß“ und „Das Bild des Kaisers“.

Die „Bettlerin vom Pont des Arts“ gehört ihrer spannenden, vortrefflich durchgeführten Fabel wegen zu den beliebtesten der Hauffschen Werke. Die Erzählung derselben ist gut ersonnen, straff und einheitlich behandelt. Die Heldin ist eine glücklich begabte, allerdings oft zu romantisch schwärmende Natur, ein reiner, fester Charakter, der leider zum Schaden des Ganzen in den letzten Kapiteln aus der Rolle fällt und mit vielleicht rein menschlich sein sollender Leidenschaft seine bisher bewahrte Würde und Reinheit vergißt und sich zu einem strafwürdigen Handeln hergibt. Fröben ist einer jener in Romanen herkömmlichen, schablonenhaften Tugendhelden, der die gekränkte Unschuld verteidigt und dafür mit der Erreichung des Zieles seiner Wünsche am Schlusse belohnt wird. Der eigenartigste und mit vorzüglicher Menschenkenntnis, wahrscheinlich nach einem lebendigen Vorbild ausgeführte Charakter dieser Novelle ist der Baron Faldner, jener barsche, grillenhafte, bis in die kleinsten Züge sich stets gleiche, nur sich selbst trauende und vertrauende Gatte der unglücklichen Heldin. In der Charakterisierung dieses Mannes hat Hauff ein kleines Meisterstück geliefert. In der Zeichnung des gutmütigen alten Don Pedro hat er mit Geschick das spanische Kolorit getroffen und auch für seinen Humor ein Plätzchen gefunden.

[31] Etwas anderer Natur als die eben behandelte ist die Novelle „Jud Süß“. Hier hat Hauff einen geschichtlichen, ihm durch besondere Umstände[1] besonders naheliegenden Stoff zur Darstellung gewählt. Die hinter allen hervortretenden Personen und Ereignissen mit verderbendrohendem Blicke lauernde Gestalt des Juden, das tragische Ende desselben und seiner reinen, unschuldigen Schwester verleihen dem Ganzen etwas Düsteres, Unheimliches. Der historische Hintergrund mit seinen politischen und religiösen Konflikten, mit seinen heimlichen und offenen Verschwörungen übt auch auf die übrigen Gestalten seinen Druck aus. Alle sind mehr oder weniger von dem in der Luft liegenden schweren Wetter geängstigt, das jeden Augenblick verderbenbringend hereinzubrechen droht. Die Charaktere der hauptsächlichsten Personen sind gut gelungen. Mit wenigen scharfen Strichen ist die ernste, streng rechtliche Natur des alten Lanbek oder seines Urbildes, des ehemaligen Landschaftskonsulenten Joh. Wolfgang Hauff, gezeichnet; auch dessen Sohn Gustav, der eigentliche Held der Erzählung, ist dem Dichter diesmal besser geglückt als seine bisherigen jugendlichen Helden; er zeigt etwas Festes, Geschlossenes in seinem Denken und Auftreten; nur am Schlusse erscheint sein Betragen der unschuldigen Geliebten gegenüber etwas seltsam, was weder die Sünde des Bruders noch die Vorurteile gegenüber einer verachteten Religion zu entschuldigen, höchstens des Dichters Nachschrift zu mildern vermag. Die unglückliche Lea ist das unerfahrene, reine Kind, das, durch die scheelen Blicke der Leute ängstlich geworden, sich mit seinem ganzen Vertrauen an den Geliebten hängt und, erst durch die schwere Katastrophe zur erkennenden Jungfrau erwachend, sich in ihrer Hilflosigkeit selbst den einzig übrigen Weg erwählt. Der Jude Süß ist in den Farben geschildert, welche die herkömmliche Erzählung von ihm hinterlassen hat, und dem entsprechend ist auch sein Auftreten von Anfang bis zu Ende glaubwürdig dargestellt.

Vermutlich Hauffs letztes vollendetes Werk und zugleich seine beste Novelle ist „Das Bild des Kaisers“. Der unmittelbaren Gegenwart entnommen, ist der Stoff einer der lieblichsten und der Wirklichkeit am treuesten entsprechenden, die der Dichter je behandelt hat. Noch lebte in aller Erinnerung die mächtige Persönlichkeit des ersten Napoleon, noch lebten die Vertreter jener beiden großen Parteien, von denen die eine den angestammten Erbfeind Deutschlands in ihm verabscheute, die andere den großen Feldherrn, den edelmütigen Menschen in ihm verehrte. Zu letzteren gehörten besonders die alten Soldaten, die einst unter


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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 30–31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_022.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)