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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

spöttelnde Anzüglichkeiten sich unwillkürlich, als eine Folge seiner Lesewut und seiner Auffassungsgabe, in Hauffs Denken und Darstellen eingeschlichen hatten. Wir sind auch weit davon entfernt, diese Gefühle hier und bei Clauren ein für allemal zu verdammen; denn es gibt eben im Leben und also auch in einem Roman, der lebensfähige Menschen schildern will, Situationen, wo solche Gedanken wirklich vorhanden sind und im Roman zur Lebendigkeit der Anschauung, zur Charakteristik der Personen ungemein viel beitragen. Diese Wahrheit der geschilderten Zustände und Personen ist es auch, was den „Mann im Monde“, trotz seiner Persiflage Claurens, die heute im allgemeinen nicht mehr verständlich ist, weil wir Clauren nicht mehr kennen, wie er damals bekannt und gelesen war, diese Wahrheit ist es, die den „Mann im Monde“ noch heute zu den beliebtesten Schriften Hauffs stellt.

Wie im „Mann im Monde“ eine persiflierende Nachahmung eines vielgelesenen Schriftstellers jener Zeit vorliegt, so gibt uns Hauff eine sehr ernst gemeinte in seinem „Lichtenstein.“ Dieser Roman, der neben den „Märchen“ am meisten von Hauffs Werken im Volke Verbreitung gefunden hat und in unzähligen Volks- und Prachtausgaben mit und ohne Illustrationen auf den Büchermarkt gebracht worden ist, hat ebenso warme Verteidigungen wie griesgrämliche Anfechtungen gefunden. Hauff selbst hat es deutlich genug in seiner Einleitung ausgesprochen, was er mit diesem Romane gewollt hat, und wenn er mit diesem ersten Versuche sein Vorbild Walter Scott nicht in jeder Beziehung erreicht hat, so wäre es kleinlich, ihm dies als einen so bedeutenden Fehler zum Vorwurf machen zu wollen. Ebenso aber hieße es in das Zopftum des verstockten Gelehrten verfallen, wollten wir ihm mit den Waffen der historischen Kritik zu Leibe gehen und ihm nachweisen, daß sein Herzog Ulrich kein wohlgetroffenes Abbild des geschichtlichen Herzogs von Württemberg ist. Wir haben hier eben einen Dichter und keinen Geschichtschreiber vor uns, dem Dichter aber steht er jederzeit frei, seine Gestalten, auch wenn sie historisch sind, in seiner Weise, etwas milder oder schroffer, aufzufassen, wenn sie nur wahre Menschen sind und in der einmal aufgenommenen Weise bis ans Ende der Dichtung durchgeführt werden. Und dies können wir mit gutem Rechte von Hauffs Herzog Ulrich, von seinem Frundsberg, Lichtenstein, dem Pfeifer von Hardt und mancher anderen Gestalt des Romanes behaupten. Weniger gelungen sind ihm die beiden jugendlichen Heldengestalten Georg und Marie, obgleich er doch in ihnen gerade die leibhaftigen Urbilder, sich selbst und seine Luise, vor sich hatte. Hier haben wir in der That weiche, verschwommene Charaktere, deren Liebe und Liebesabenteuer allzuviel [29] romantische Schwärmerei an sich haben. Hauff war ja allerdings in dieser Beziehung selbst ein großer Schwärmer, dem man den leichten, spöttelnden Humoristen nicht wohl angemerkt haben würde, soll er sich doch in seiner Liebe zu der schönen Kousine sogar selbsterdichtete romantische Schwierigkeiten in den Weg gelegt haben, um sich die Geliebte heimlich, romantisch erobern zu können. Auch die Heldenthaten des Junkers Georg sind keine großen; wo er wirklich einmal in ernstliche Gefahr kommt, aus der ihn nur eine kühne, entschlossene That retten könnte, da steht ihm plötzlich ohne alles eigene Verdienst sein treuer Schutzgeist Frundsberg oder der Pfeifer zur Seite und hilft ihm mit seinem Machtwort über alle Berge hinweg. Trotz alledem aber ist und bleibt das Ganze ein kleines Meisterstück, allerdings nicht um des Ganzen, sondern um seiner zahlreichen einzelnen Schönheiten willen, die es denn auch wirklich zu einem Juwel in unserer deutschen Litteratur erheben. Die Szenen in Ulm mit den beiden Kousinen, das herrliche Dorfidyll mit der lieblichen Gestalt des echten Naturkindes Bärbele und seiner naiven Sprache, die mächtig wirkende Schilderung der Berghöhle und des Schicksals ihres Bewohners, die markige, treue Gestalt des Pfeifers, das sind Schönheiten, die ihren unvergänglichen Reiz ausüben werden auf jedes empfindende Gemüt. Auch an anmutigen Naturschilderungen ist das Werk reich, die dem Dichter allerdings in diesem Vaterlande nicht schwer werden konnten, ja hier übertrifft er sogar zuweilen sein Urbild, den Scottschen Roman, durch gedrängtere, schärfere Kürze. Dazu müssen wir schließlich noch auf die reine, wenn auch nicht überall fehlerfreie Sprache hinweisen, von der das Ganze getragen wird.

Zwischen der Veröffentlichung dieses Werkes und des folgenden lag, wie wir wissen, die größere Reise des Dichters, von welcher er frische Kräfte, neue Gedanken, neue Erinnerungen des Erlebten mitbrachte. Eine der ersten Früchte des neuen Schaffens waren die „Phantasien im Bremer Ratskeller“, ein Traumbild aus der lebendigsten Erinnerung gleichsam hervorgezaubert, phantastisch, keck, vom Humor echter Weinlaune durchfeuchtet, märchenhaft und doch voll so natürlichen Lebens, als wäre es im Augenblicke eines lustigen Rausches niedergeschrieben. Mit diesen Phantasien hat Hauff so eigentlich sein Bestes, sein ganzes Talent, sich selbst uns gegeben. Alles, was wir sonst zerstreut oder weit ausgeführt in seinen Werken finden, ist hier auf wenigen Seiten vereint. Die Kunst der leichten Darstellung, der prickelnde Humor, das wehmütige Gedenken, die Phantasie der Märchen und der lockere Faden einer Novelle, Dichtung und Wahrheit.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 28–29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_021.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)