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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

zu erfinden und in der alten Weise darzustellen. Die Räuber- und Verwechslungsgeschichte des „Wirtshauses im Spessart“ mit ihrem gemachten, glücklichen Ende ist eine triviale, alltägliche mit vielem romantischen Flitter, ohne eigentlich tieferen Kern.

Dennoch kann dieser Märchenband ein gewisses Interesse insofern erwecken, als sich darin Hauffs Erzählungskunst von einer etwas anderen Seite zeigt. Während die Märchen im „Scheik von Alessandria“ ihrem Inhalte und ihrer Darstellung nach mit denjenigen der „Karawane“ auf gleicher Stufe stehen, heiter, phantastisch, zum Teil humorvoll und mehr für das unbefangene Kinderherz berechnet sind, haben wir hier, mit Ausnahme des hübschen Märchens von Saids Schicksalen, mehr ernste, für die erwachsene Jugend geeignete Erzählungen älterer Sagen, von denen besonders „Das kalte Herz“ schon von den zeitgenössischen Kritikern als reich „an Originalität, Gedankenfülle und poetischer Wahrheit“ bezeichnet ward.

Das dritte Werk Hauffs, von dem einzelne Stücke schon in einer früheren Zeit als die seiner Veröffentlichung geschrieben sein werden, sind die „Memoiren des Satan“, ein Werk, das wie die Märchen gleichfalls kein vollkommen einheitliches ist, sondern sich aus einer Reihe der verschiedenartigsten Szenen und Skizzen zusammensetzt, die nur durch die Person des Satans lose zu einem Ganzen verbunden werden. Es wird deshalb auch am richtigsten sein, wenn wir die einzelnen Kapitel einzeln nacheinander betrachten. Die Entstehung des Ganzen ist wahrscheinlich auf die Niederschrift einiger Szenen aus den Universitätsjahren über das Leben und Treiben in diesen Kreisen zurückzuführen. Möglich, ja wahrscheinlich ist sogar, daß Hauff den Satan erst bei der Bearbeitung dieser Stücke für die Memoiren in dieselben eingeführt hat. Als er aber einmal den Gedanken dazu faßte, war es ihm darum zu thun, mit seinem kecken, frischen Humor eine leichte, mehr die Äußerlichkeiten des Lebens treffende Satire zu geben, in der er unter dem Titel – gleichfalls eine Satire auf die damals mit Schwung betriebene Memoirenschreiberei – „Memoiren des Satan“ Erlebnisse und Ansichten seines eigenen jungen Lebens mit pikanter Würze darstellte. Dieser Halt an Äußerlichkeiten ist auch die Ursache, daß wir in seinem Satan nicht eigentlich das finden, was wir von dem Beherrscher des Höllenreiches erwarten. Während Hauff in seinen „Bemerkungen über das Diabolische in der deutschen Litteratur“ besonders über Goethes Mephisto herzieht, in merkwürdigem Unverständnis und jugendlicher Überhebung, müssen wir sagen – und damit wollen wir gleich hier dieses Kapitel abthun – daß Hauffs Satan gegen den Goetheschen denn doch [25] ein ganz anderer ist. Goethes Mephisto ist das eigentlich wirkende böse Prinzip, der echte Teufel mit Schweif und Pferdefuß, wie er seit Jahrhunderten im Volksbewußtsein und den Spukgeschichten der Pfaffen lebt; er ist der wirkliche Widersacher des Herrn, dem er die Seelen der Menschen mit wirklich teuflischen Listen abwendig zu machen strebt. Hauffs Satan dagegen thut eigentlich gar nichts zur Vermehrung seines Reiches, nur ein paarmal greift er wirklich thätig ein, um sich ein paar Seelen zu erobern, im übrigen sieht er meist nur mit hämischer Schadenfreude dem lächerlichen Treiben der Menschen zu, mit denen er zusammentrifft, und über deren selbstverschuldeten Leichtsinn er sich ins teuflische Fäustchen lacht oder mit denen er seine Possen treibt. Im übrigen aber ist er ein harmloser Lebemann, der lebt und leben läßt, wie es eben des Tages Laune mit sich bringt.

Diese Unzulänglichkeit des Herrn von Natas aber verkümmert uns die Satansmemoiren durchaus nicht, ja vielleicht tritt gerade dadurch ihr leichter Humor mehr in den Vordergrund und läßt das große Publikum um so mehr Gefallen an der schalkhaften Behandlung eigentlich tieferer Gegenstände finden. Die Einleitung zu den Satansmemoiren gehört mit zu dem interessantesten und spannendsten des Ganzen, es ist eine glückliche Nachahmung von E. Th. A. Hoffmanns Manier in der Darstellung des Schauerlichen und Gruseligen mit Hauffscher Novellistik. Hier führt auch der Teufel wirklich seine natürliche Rolle mit teuflischer Grazie durch, wie er die Gemüter zu umgarnen, die Sinnlichkeit, die Triebfeder so vieler Sünden, anzustacheln, und wie er selbst dem verführerischen Genuß zu frönen weiß. – Die Studien des Satans auf der Universität gehören zu dem Köstlichsten, was Hauffs Humor überhaupt gezeitigt hat. Nach der satirischen Einleitung über das Memoirenschreiben schildert er, noch selbst inmitten dieses Treibens stehend, das damalige, halb renommistische, halb frömmelnde Studentenleben und die Deutschtümelei so lustig und mit so großem Geschick, daß wir unwillkürlich an Heines „Harzreise“ erinnert werden. Zu dem Glanzpunkt dieser Szenen gehört die Darstellung des Kollegienbesuches, die noch heute ihre Geltung haben kann, das verzopfte Professorentum und die verstandlose Nachschreiberei der Studenten. Dem Geiste der Zeit entsprechend wird auch die alberne Demagogenriecherei in würdiger Weise gegeißelt. Das Abenteuer mit Dr. Schnatterer sieht eher einem Studentenulke als einem Werk des Satans ähnlich, ist aber mit prächtiger Komik dargestellt. – Im folgenden finden wir nun dem Satan den ewigen Juden zugesellt, der aber von der im Volksbewußtsein lebenden tiefernsten Sagengestalt nicht das Geringste an

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 24–25. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_019.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)