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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Anlage zum Leichtsinn, zum Trunk, Spiel und Lüge … in diesem Klosterpferch nicht zu Grunde ging …? War ich nicht auf dem äußersten Rand, durch Rede und That gemein zu sein …?“ Das große Ganze der Burschenschaft bestand, wie an anderen Universitäten, auch hier noch aus einem weiteren und einem engeren Kreise; auch diesem letzteren, einem Verein innig vertrauter Freunde der sogenannten „Kompagnie“, gehörte Hauff unter dem Spitznamen „Bemperlein, der Seelenhirtschaft Anbildling“ an. Er war überhaupt ein allgemein beliebtes und angesehenes Mitglied dieses Jugendbundes, in dem er sich schon durch seine Lieder als Bundesdichter und als Fertiger der beliebten sogenannten Kneipzeitungen hervorthat. Zur letzteren Gattung gehört besonders ein umfangreiches Heldengedicht vom Jahre 1822: „Die Seniade“, und eine Prosahumoreske vom Jahre 1823: „Briefe eines auf der Universität zu Tübingen befindlichen Mädchens an eine gute Freundin in Stuttgart“. Prof. Klaiber, in dessen Händen sich das Manuskript der „Seniade“ befand, sagte darüber Folgendes[1]: „In hochtönenden Alexandrinern und im Stil des heroischen Epos, aber zugleich mit Wielandscher Grazie und Leichtigkeit schildert es die unsterblichen Heldenthaten, welcher der ‚Sproß vom Stamme Hauff‘, genannt Seni (ein entfernter Vetter des Dichters), im Kampfe mit dem Senior der Schwaben zur Ehre der deutschen Burschenschaft verrichtet habe; … Die Dichtung … zeigt, daß der Zwanzigjährige in überraschender Weise bereits völlig fertig und abgeschlossen ist. Nicht bloß, daß die Vorzüge alle, welche man später an ihm bewunderte, hier schon in ursprünglicher Frische sich vorfinden, geradezu erstaunlich ist die virtuose Sicherheit, mit welcher der jugendliche Dichter sofort beim ersten Anlaß seinen Stoff beherrscht, das bunte Gewirre schlichtet und ordnet und in die angemessene poetische Form ergießt.“ Und als „fast noch bezeichnender für die nachherige Gestaltung seines Talents“ erklärt Klaiber jene oben erwähnte Prosahumoreske, von der er uns am selben Orte den ersten Brief mitteilt. All dies zusammen aber zeigt uns, wie voll und ganz Hauff mit seinem reinen, fröhlichen Jugendmute das burschikose Leben der Universitätsjahre zu genießen wußte; jenes Leben, dessen inneren Kern der Laie nie ganz verstehen wird, den der Dichter aber mit wenigen treffenden Worten für den Eingeweihten so bezeichnend, so lieblich schildert. „Wie soll ich dich nennen, du hohes, edles, rohes, barbarisches, liebliches, unharmonisches, gesangvolles, zurückstoßendes und doch so mild erquickendes Leben der Burschenjahre?“ Liegt in diesen [7] sich scheinbar so widersprechenden und doch ergänzenden Attributen nicht all das ausgesprochen, was jeder empfinden muß, der sich mit jugendlich schwärmender Begeisterung hineinstürzt in den Strudel dieses unbegreiflichen Chaos, und doch mit männlichem Selbstgefühl außerhalb dieses Kreises seine Schwäche erkennt; und liegt vor allem für uns nicht darin das beste, deutlichste Zeichen, wie Hauff jene Zeit erfaßt und durchlebt hat, die so manchen haltlosen Jüngling hinabzieht und so manchen prosaischen Kopf gänzlich unberührt läßt?

Aber zu all dem sollte noch ein anderes hinzukommen, was des Jünglings Herz so ganz erfüllte und beglückte und von bestimmendem Einfluß auf seine künftige Laufbahn wurde. Während der Herbstferien des Jahres 1823 unternahm er mit einem seiner Kameraden einen Ausflug nach Ulm. Dort lassen sie sich halb im Scherz verleiten, eine kleine Donaufahrt mitzumachen, die sie nach Donauwörth führt. Hier angekommen, erinnert sich Hauff einer Tante seines Namens, die in Nördlingen wohnt, die er aber noch nie gesehen. Er macht sich also kurz entschlossen auf, die Tante zu besuchen. Im Hause der wohlhabenden Frau, einer Kaufmannswitwe, wird er gern und freundlich aufgenommen und fühlt sich in dem heiteren, lebensfrohen Kreise der Angehörigen dieses stattlichen Hauses bald so wohl, daß er sich mehrere Wochen daselbst fesseln läßt. Und doch, wer weiß, ob es ihn so lange hier gelitten hätte, wenn nicht ein Wesen mit jedem Tage mehr seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und bald auch sein Herz mit innigen Banden umschlungen hätte? Seine hübsche Kousine Luise war es, die seine junge Liebe erweckte und beim traulichen Guitarrespiel immer lebendiger entflammte. Wie weit er ihr damals schon sein Gefühl gestanden, wissen wir nicht, wohl aber, daß er mit einem tiefen Eindruck im Herzen nach Tübingen zurückkehrte und die einmal angeknüpfte Freundschaft durch einen Briefwechsel – anfangs mit der Tante und vielleicht auch schon heimlich mit der Kousine – fortsetzte und bald offen mit letzterer in Verkehr trat. Bereits im Frühjahre 1824 erfolgte die öffentliche Verlobung der jungen Leute. Wie so ganz mit dem frischen, innigen Hauch erster, wahrer Liebe sein Herz der Geliebten zugethan war, geht aus den wenigen, nicht gerade bedeutenden, aber tief und glückselig empfundenen Gedichten hervor, die das Jahr 1824 zeitigte. Außer den nun entstehenden Soldatenliedern, in denen vor allem die Treue und das Gedenken an die Geliebte betont wird, sind es besonders die Gedichte: „Stille Liebe“, „Serenade“, „Trost“, „Sehnsucht“, „Ihr Auge“, die das Erwachen der Liebe bis zum Bewußtsein der getreuen Gegenliebe ausdrücken. Allzu schwer scheint ihm ja auch Luise das


  1. In der „Litterarischen Beilage des Staatsanzeigers für Württemberg“ 1877, Nr. 25 u. 26.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 6–7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)