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wir nicht glauben, daß die freie Schwingung völlig unbeeinflußt vom Reibungswiderstand bleibt, obwohl sich dieser in den Beobachtungen nicht mit Sicherheit nachweisen läßt.“ Es ist in der Tat ganz fraglos, daß wir die Erde nicht als vollkommen elastisch gegenüber den Flutkräften betrachten können. Es müssen also neben den elastischen, meßbaren Gezeiten auch fließende Gezeiten vorhanden sein, die zwar unmeßbar klein sind, weil die Periode der Gezeiten gegenüber der Zähigkeit des Magmas zu kurz ist, deren Flutreibungswirkung aber im Laufe geologischer Zeiten sich aufsummiert und schließlich beträchtliche Verschiebungen der Erdkruste bewirken kann. Meines Erachtens kann man jedenfalls diese Frage noch nicht damit als erledigt betrachten, daß die elastische Natur der meßbaren täglichen Gezeiten in der festen Erde nachgewiesen ist.

     Auf einem anderen Wege, der aber auch auf die Anziehung von Sonne und Mond hinausläuft, nämlich auf Grund der Präzessionstheorie der Erdachse, kommt Schweydar auf eine Kraft, welche eine Westwanderung der Kontinente bewirken kann [40]: „Die Theorie der Präzession der Rotationsachse der Erde unter dem Einfluß der Anziehung von Sonne und Mond ist unter der Voraussetzung bekannt, daß die einzelnen Teile der Erde keine größere Verschiebung gegeneinander ausführen können. Die Berechnung der Bewegung der Erdachse im Raume wird schwieriger, wenn man die Verschiebung der Kontinente zuläßt. In diesem Falle muß man unterscheiden zwischen der Rotationsachse des Kontinents und der ganzen Erde. Ich habe berechnet, daß die Präzession der Umdrehungsachse eines Kontinents, der zwischen den Breitengraden — 30 und + 40° und den Meridianen 0 und 40° westlicher Länge liegt, etwa 220mal größer als die der Achse der gesamten Erde ist. Der Kontinent hat das Bestreben, um eine Achse zu rotieren, die von der allgemeinen Rotationsachse abweicht. Hierdurch entstehen Kräfte, die nicht nur in meridionaler Richtung, sondern auch in westlicher Richtung wirken und den Kontinent zu verschieben suchen; die meridionale Kraft wechselt im Laufe des Tages ihre Richtung und kommt bei unserem Problem nicht in Frage. Diese Kräfte sind bedeutend größer als die Polfluchtkraft. Die Kraft ist am stärksten am Äquator, sie ist Null auf den Breitenkreisen ± 36°. Eine genauere Beschreibung des Problems hoffe ich später geben zu können. Hierdurch wäre auch eine westliche Verschiebung der Kontinente möglich.“ — Wenn es sich auch hier

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Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 181. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_181.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)