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     Man sieht jedenfalls, daß die exakte Nachprüfung der Verschiebungstheorie durch wiederholte astronomische Ortsbestimmungen bereits in großem Ausmaß im Gange ist, und daß die ersten Nachweise für ihre Richtigkeit bereits erbracht sind.

     Zum Schlusse sei noch an die seit langem an den europäischen und nordamerikanischen Sternwarten beobachteten Breitenänderungen erinnert.

     Wie Günther [181] berichtet, betrachtete A. Hall folgende Breitenabnahmen als gesichert:

     Bei Paris in 28 Jahren um 1,3''; bei Mailand in 60 Jahren um 1,51''; bei Rom in 56 Jahren um 0,17''; bei Neapel in 51 Jahren um 1,21''; bei Königsberg i. Pr. in 23 Jahren um 0,15''; bei Greenwich in 18 Jahren um 0,51''. Auch für Pulkowa ergab sich nach Kostinsky und Sokolow eine säkulare Breitenabnahme. Dazu kommt in Nordamerika bei Washington eine Abnahme in 18 Jahren um 0,47''.

     Da man die Entdeckung machte, daß durch die sogenannte „Saalrefraktion“ in der Kuppel systematische Fehler ähnlicher Größe entstehen konnten, war man lange Zeit geneigt, alle solche Abweichungen auf diese Fehlerquelle zu schieben.

     Indessen mehren sich neuerdings die Stimmen, nach denen solche Änderungen dennoch als reell zu betrachten sind, insbesondere seitdem Lambert [182] gezeigt hat, daß die Breite von Ukiah in Kalifornien und anderer nordamerikanischer Stationen sich gegenwärtig offensichtlich ändert. In einer neueren Arbeit [221] sagt Lambert: „Die internationalen Stationen (des Breitendienstes) sind nicht die einzigen, an denen überraschende Änderungen der Breite aufgetreten sind. Rom hat anscheinend seine Breite seit 1855 um 1,45'' geändert. Ein systematisches Studium solcher Anomalien wäre höchst wünschenswert.“

     Auffallenderweise geht diese gegenwärtige Änderung aber im umgekehrten Sinne vor sich als die oben angeführten älteren, denn die Breite von Ukiah wächst.

     Die Deutung dieser Breitenänderungen ist aus dem Grunde schwierig, weil sie sowohl auf Kontinentverschiebung als auch auf Polwanderung beruhen können, welche letztere nicht mit relativer Lagenänderung der Kontinente zueinander verbunden zu sein braucht. Wie später eingehender gezeigt werden wird, hat man in jüngster Zeit aus den Messungen des internationalen Breitendienstes eine gegenwärtige Polwanderung nachweisen können, vermöge welcher sich der Nordpol in Richtung auf Nordamerika verlagert,

Empfohlene Zitierweise:
Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_033.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)