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bei der Schrumpfung des Erdinnern führte zu der unannehmbaren Konsequenz einer Druckübertragung innerhalb der Erdrinde über eine Strecke von 180 Großkreisgraden. Zahlreiche Autoren, wie Ampferer [13], Reyer [14], Rudzki [15], Andrée [16] u. a. haben mit Recht dagegen Stellung genommen und gefordert, es müßte die ganze Erdoberfläche gleichmäßig von der Runzelung betroffen werden, was ja auch der trocknende Apfel zeigt. Besonders war es aber die Entdeckung des schuppenartigen „Deckfaltenbaues“ oder der Überschiebungen in den Alpen, welche die ohnehin schwierige Erklärung der Gebirge durch Schrumpfung immer unzulänglicher erscheinen ließ. Diese durch die Arbeiten von Bertrand, Schardt, Lugeon u. a. eingeführte neue Auffassung vom Bau der Alpen und zahlreicher anderer Gebirge führt zu weit größeren Beträgen des Zusammenschubs als die früheren Vorstellungen. Während Heim nach der letzteren noch für die Alpen eine Verkürzung auf 1/2 berechnete, findet er unter Zugrundelegung des heute allgemein anerkannten Deckfaltenbaues eine Verkürzung auf 1/4 bis 1/8 [17]. Da die heutige Breite etwa 150 km beträgt, so wäre also hier ein Rindenstück von 600 bis 1200 km Breite (5 bis 10 Breitengraden) zusammengeschoben. Aber in der jüngsten großen Synthese über den Deckfaltenbau der Alpen kommt R. Staub [18] in Übereinstimmung mit Argand sogar zu noch größeren Beträgen des Zusammenschubs. Er kommt auf S. 257 zu dem Schluß:

     „Die alpine Orogenese ist der Effekt der Nordwanderung der afrikanischen Scholle. Glätten wir nur die alpinen Falten und Decken auf dem Querschnitt zwischen Schwarzwald und Afrika wieder aus, so ergibt sich gegenüber der jetzigen Distanz von rund 1800 km schon ein ursprünglicher Abstand von rund 3000 bis 3500 km, also ein Zusammenschub der alpinen Region, alpin in weiterem Sinne gemeint, um rund 1500 km. Um diesen Betrag muß sich Afrika gegenüber Europa verschoben haben. Wir kommen damit also auf eine wahre Kontinentalverschiebung der afrikanischen Scholle um große Beträge“[1].

     In ähnlichem Sinne haben sich auch andere Geologen geäußert, wie z. B. F. Hermann [106], Edw. Hennig [19] oder Kossmat [21],


  1. Wie es scheint, sind die Schätzungen der Größe des Zusammenschubs der Alpen noch immer im Wachsen. So schreibt Staub neuerdings [214, ähnlich in 215]: „Denken wir uns nun aber diesen alpinen, wohl dutzendfach übereinandergeschobenen Deckenhaufen wieder ausgeglättet …, so kommen wir notgedrungen mit dem starren Rückland der Alpen viel weiter nach Süden, und die ursprüngliche Distanz zwischen Vorland und Rückland der Alpen ist eine wohl zehn- bis zwölfmal größere gewesen als der heutige Abstand zwischen den beiden.“ Er fügt hinzu: „Die Schaffung eines Gebirges geht also hier ganz deutlich und zweifelsfrei auf selbständige Wanderungen größerer, nach ihrem Bau und ihrer Zusammensetzung sicher kontinentalen Schollen zurück, und damit gelangen wir, von der Geologie der Alpen, von der Deckentheorie Hans Schardts, ganz selbstverständlich und ungezwungen zu der Anerkennung des Grundprinzips der großen Wegenerschen Theorie von den Verschiebungen der kontinentalen Schollen.“
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_010.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2019)