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Vorstellung unterscheidet sich nur quantitativ, aber nicht in dem Entscheidenden, Neuen, von der meinigen. Aus diesem Grunde wird die Verschiebungstheorie von den Amerikanern bisweilen die Taylor-Wegenersche Theorie genannt. Allerdings habe ich selbst beim Lesen von Taylors Schrift den Eindruck, daß er vor allem ein gestaltendes Prinzip für die Anordnung der großen Gebirgsketten suchte und dieses in einer Polflucht des Landes zu finden glaubte, und daß bei diesem Gedankengange die Verschiebung einiger Kontinente in unserem Sinne nur eine untergeordnete Rolle spielte und auch nur sehr kurz begründet wurde.

     Ich selbst habe alle diese Arbeiten — auch die von Taylor — erst zu einer Zeit kennengelernt, zu der die Verschiebungstheorie in ihren Hauptzügen von mir bereits ausgearbeitet war, einige sogar noch wesentlich später. Es ist wohl nicht ausgeschlossen, daß im Laufe der Zeit noch weitere Arbeiten entdeckt werden, die Anklänge an die Verschiebungstheorie enthalten oder diesen oder jenen Punkt vorwegnehmen. Eine historische Untersuchung hierüber ist noch nicht angestellt und im gegenwärtigen Buche nicht beabsichtigt.


Zweites Kapitel.


Das Wesen der Verschiebungstheorie und ihr Verhältnis zu den bisher herrschenden Vorstellungen über die Änderungen der Erdoberfläche in geologischen Zeiten.


     Es ist eine seltsame und für den gegenwärtigen unfertigen Stand unserer Kenntnisse bezeichnende Tatsache, daß man hinsichtlich der vorzeitlichen Zustände unserer Erde zu ganz entgegengesetzten Resultaten kommt, je nachdem man von der biologischen oder der geophysikalischen Seite an das Problem herantritt.

     Die Paläontologen und ebenso die Tier- und Pflanzengeographen kommen immer wieder zu dem Ergebnis, daß die Mehrzahl der heute durch eine breite Tiefsee getrennten Kontinente in der Vorzeit eine Landverbindung gehabt haben müssen, über welche hinweg sich ein ungestörter Austausch der Landfauna und Landflora vollzog. Die Paläontologen schließen dies aus dem Vorkommen zahlreicher identischer Arten, die in der Vorzeit hüben und drüben nachweislich gelebt haben und deren gleichzeitige getrennte Entstehung an verschiedenen

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Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_004.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)