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Daß sie nämlich Mutter werden sollte,
Lag nun Aller Augen offenbar.

Gleich dem Aar, der mit gespreizten Klauen
Pfeilschnell auf die Beute niederfährt
Und das Lamm von unbewachten Auen
Mit sich führt, weil ihm kein Schäfer wehrt,

So umfaßt mit grimmig-starken Armen
Schnell der Priester Wunna’s zarten Leib;
Reißt sie fort ohn’ jegliches Erbarmen,
Fast zerdrückend das ohnmächt’ge Weib.

Droben auf der hohen Stubbenkammer
Hält er an, und mit gewalt’ger Wucht
Stürzet er, – o unerhörter Jammer! –
Wunna in die tiefe Bergesschlucht.

Doch mit ew’ger Liebe und Erbarmen
Schützet auch den Sünder Gottes Hand;
Engel trugen Wunna auf den Armen
Sanft hernieder an des Meeres Strand. –

Als aus langem Schlummer sie erwachte,
Lag sie an des Jünglings treuer Brust;
Und der Liebe goldne Sonne lachte
Ihrem Leben nun in reiner Lust.

Wenn Du auf der Stubbenkammer weilest,
Wandle doch zum alten Götterhain,
Ehe Du von Jasmunds Fluren eilest;
Noch erblickst Du dort den Wunderstein. –

Welch ein Glück, daß wir in unsern Tagen
Sicher auf den breiten Steinen stehn,
Und daß unsre Tritte nicht mehr sagen,
Wie viel stille Sünden wir begehn.

Empfohlene Zitierweise:
Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Nicolaische Buchhandlung, Berlin 1840, Seite 327. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Volkssagen_Pommern_327.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)