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Durften kaum entfernt zu ahnen wagen
Treuer Liebe stille Seligkeit.

Wie die Sonne alle andern Sterne
Weit an Glanz und Schönheit überstrahlt,
Glänzt von Rügens Jungfrau’n nah und ferne
Wunna, kaum erst sechszehn Sommer alt.

Früh bestimmte schon der Aeltern Wille
Sie zum Dienst der Göttin; aber ach!
Gumbert liebte sie, und in der Stille
Hingen Beide ihrer Liebe nach.

Als sie nun in Hertha’s finstern Hallen
Ihren Dienst mit trübem Sinn versah,
Wagte Gumbert oft dahin zu wallen,
Jeden Abend stand er lauschend da.

Wunna schlich, wenn Alle um sie ruhten,
Leise durch die Pforte in den Hain
Und genoß dort selige Minuten
Bei der Sterne mildem Dämmerschein.

Bald vernahm der Priester schon die Kunde,
Daß der Jungfrau’n eine ihn betrog
Und in stiller mitternächt’ger Stunde
In die Arme eines Jünglings flog.

Drob ergrimmt’ er sehr und ließ erscheinen
Alle Priesterinnen, solche That
Streng zu rächen an der schuld’gen Einen;
Wunna bebte, als sie vor ihn trat.

Doch die Schuld’ge wußt’ er nicht und fragte;
Alle schwiegen, Wunna schöpfte Muth;
Keiner hielt sie für die Angeklagte,
Denn sie war so fromm und schön und gut.

Empfohlene Zitierweise:
Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Nicolaische Buchhandlung, Berlin 1840, Seite 325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Volkssagen_Pommern_325.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)