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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

und Weisheit schöpfte; wenn wir die Jugendkraft der Menschheit in jenem Volke betrachten, das mit umfassendem Sinn der einwirkenden Natur entgegenkam, mit lieblicher Phantasie die frischgesammelten Bilder verwebte, mit zartem Menschengefühl und hoher Einfalt des Geistes das Gute und Schöne überall empfand, mit ungeschwächtem Triebe die Empfindung in That sich äussern ließ; endlich, wenn wir dort, eh noch ein Dialektiker die Symbolik der Empfindungen bestimmte, eh noch die Theorie ersonnen ward, welche Kunst in Mechanismus verwandelt, dort die zahllosen Kunstgebilde erblicken, die jene Kraft, instinktähnlich, zu Meisterwerken stempelte; zu Meisterwerken, denen nicht etwa nur ein selbstsüchtiger Lukull in seinen Palästen huldigen ließ, sondern die mit dem Enthusiasmus der Vaterlandsliebe und Vaterlandsehre zum Genuß und zur Erweckung Aller gebildet, das ganze Volk mit Ahndung des Sittlichschönen, mit edler Ruhmbegierde, mit dem Feuereifer für das Wohl des Staats, mit dem frohen Gemisch von Ehrfurcht und Vertrauen zu seinen menschenähnlichen Göttern erfüllten: o dann! dann zweifeln wir nicht mehr, daß dieser reitzende Augenblick im Leben der Menschengattung wie die Blüthezeit der Rose vergänglich seye, und wie ein holder Morgentraum zerrinnen mußte!

     Wie flossen die Erstlinge griechischer Kunst so sanft aus dem reichen Quell der Empfindung! Die Liebe führte dem korinthischen Jüngling die Hand, als er

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_104.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)