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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Empfänglichkeit verloren. Der geistreichste Schriftsteller unseres Jahrhunderts hat irgendwo so fein als richtig bemerkt, daß auf ein geniereiches Zeitalter nur ein scharfsinniges folgen kann, und modernes Verdienst nur in der Zergliederung des Verdienstes der Alten besteht.

     Griechische Weisheit hat sich daher erhalten bis auf uns, indes griechische Kunst, wie der Blüthenschnee des Frühlings dahin schwand. Die Weltbeherrscherin Rom verbreitete in ihren entferntsten Provinzen denselben Geist der Gesetze, den ihre Stifter aus Griechenland entlehnten; und die neue Religion, die mit der Schnelle des Wunders vom Morgenland aus die ganze abendliche Welt überzog, verschmähte nicht den Mantel der griechischen Philosophie. Der Sturz des Reichs, der eine unvermeidliche Folge des erstickten Schönheits- und Tugendsinnes war, vermochte nicht die Fortschritte der Vernunft zu hemmen; selbst Gothen und Sarmaten, Araber und Kreutzfahrer mußten zur Aufbewahrung und Fortpflanzung griechischer Wissenschaften beytragen, bis die erschöpfte Fruchtbarkeit des barbarenreichen Norden und die erfundene Buchdruckerkunst ihnen ewige Dauer verhießen.

     Wo nun immer die Staatsverfassung die Kräfte des Bürgers in Thätigkeit und Spannung versetzte, wo nach den Stürmen des Krieges ein Zwischenraum der Ruhe und des Wohlstands eintrat, wo das Glück

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_102.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)