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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

geraubt. Vergleich und Wahl gehen vor allen seinen Handlungen her; Selbsterhaltung ist ihr Zweck und Selbstverherrlichung. Der Genuß des eigenen Daseyns schließt jedes Wirken aus, wobey die Individualität verlängert werden muß; die Vernunft usurpirt die Rechte des Gefühls, und ihre Gesetze beschränken die Thaten des Herzens.

     Wessen Blick durchdringt die dunkele Ferne verflossener und kommender Jahrhunderte, um den Lebenslauf ganzer Nationen so zu fassen und in einem großen Zusammenhange vor sich aufgedeckt zu überschauen? Wer verfolgt den zarten Faden ihrer Schicksale vom Entstehungspunkt an, von jener ersten Wildheitsepoche der fälschlich sogenannten Willkühr, wo sinnliches Gefühl die einzige unmittelbare Triebfeder ihres Handelns war, zum jugendlichen Erwachen der Mittlerin Vernunft, die mit den Sinnen spielte, bald um die Herrschaft mit ihnen rang und bald mit unumschränktem Zepter regierte; bis endlich auch ihre Kraft wieder erlischt und der Mechanismus ihrer Vorschriften allein übrig bleibt, in dessen langgewohnten Banden die geschwächte Organisation maschinenmäßig oscillirt, gleichfern von eigener Empfindung und eigenem Denken? Wagt es jemand diesen Analogien mit dem Einzelnen noch weiter nachzuspüren, und die Dauer der gesammten Menschengattung, als Einheit betrachtet, mit unseres individuellen Wachsthums und unserer Abnahme Stufen zu vergleichen, des Kindes thierische Sinnlichkeit, des

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 100. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)