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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

nicht mehr die Schande, sondern er und sein Urtheil war. Er gab zuweilen seinen Kindern – denn ihren Vater nannten ihn die Züchtlinge – kleine Feste, zu denen er seine Freunde einlud; und um diese Belohnung der gekränkten oder wiederkehrenden Tugend kämpfte ein edlerer Ehrgeitz, als vielleicht in der ganzen Kaiserstadt rege war.

Aus der Schilderung dieses braven Mannes, dem die Menschheit eine Ehrensäule schuldig wäre, wird man leicht urtheilen, welchen Eindruck sein neuer Gast auf ihn machen mußte. Die holde, ruhige Miene der Baronin, ihre unschuldige Heiterkeit verrieth ihm bald das Wesentliche ihrer Geschichte. Keine reuige Magdalena war dieß nicht, wie er oft in seinen Mauern gehabt und gepflegt hatte, er erkannte in ihr ein freywilliges, im edelsten Selbstbewußtseyn zufriednes Opfer der sanftesten Empfindungen. Soviel konnte sie ihn nicht hindern in ihren Augen zu lesen, aber eine stillschweigende Uebereinkunft, die ihm verbot in das Geheimniß ihrer Tugend zu dringen, war mit einem solchen Manne bald getroffen. Sie lebte ganz als seine Tochter bei ihm, wurde seine tägliche Tischgenossin, und die Freundin seiner Freunde. Er gieng soweit daß er sie öfters, verkappt, zu öffentlichen Belustigungen, Feuerwerken und dergleichen führte; und ihr liebevolles Herz konnte dem gutmüthigen Eifer ihres Freundes in solchen Fällen nur selten widerstehen.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_046.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)