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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

war nur ein Schritt, und dieser Schritt konnte tief verdorbnen Seelen keine Bedenklichkeit kosten, sobald das triumphierende Laster gefährlichen Widerstand fand. Seine einzige Vorsicht, der Gefahr auszuweichen, war, den tugendhaften Mann von den Geschäften des Staats zu entfernen, oder, wenn er irgend einmal in diese verwirrte Sphären eintrat, durch Schwierigkeiten und durch Verläumdungen ihn muthlos zu machen.

Der französische National-Charakter ist, oder sollen wir sagen, war? nicht immer gutmüthiger, aber immer ungestümer, und nach dem ersten Ungestüm immer erkaltender Leichtsinn. Der Leichtsinn wählt unter den Gegenständen seiner flüchtigen Aufmerksamkeit nicht die wichtigsten, sondern die, welche sich am ersten ihm darbieten. Seit lange hatte die Regierung das nämliche Schauspiel gegeben. Die Laster des Hofs erzeugten Verachtung, aber seine Uebermacht erzeugte Furcht. So geschah's, daß die öffentlichen Angelegenheiten nicht anders betrachtet wurden, als von Seiten des Lächerlichen. Ein Ministerwechsel und das Erscheinen eines neuen Schauspielers waren von gleicher Wichtigkeit. Da keiner bedeutend fürs Vaterland seyn konnte, lebte jeder für sich, und eine furchtbare Selbstsucht bemächtigte sich aller Stände. Der größere Theil der Nation, eitel auf ehemalige Siege, und gegen neuere Demüthigungen gleichgültig, war in träger Unkenntniß aller Rechte des Staatsbürger noch

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft12_044.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)