Seite:De Thalia Band2 Heft8 020.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält

ich weiß es nicht – Doch hier ist keine Wahl,
zum Vaterland fühlt jeder sich gezogen.
Wer anders redet, Mutter, spielt mit Worten,
und nach der Heimat stehen die Gedanken.
Doch von geheimer Furcht gewarnt, daß nicht
der Bruder hinterlistig mich erwürge,
hab’ ich die Straßen mit entblößtem Schwert,
und scharf herumgeworfnem Blick durchzogen.
Eins ist mein Trost, der Friedenseid und dein
gegebnes Wort. Voll Zuversicht auf dieß
vertraut’ ich mich den vaterländ’schen Mauren.
Nicht ohne Weinen, Mutter, kam ich her,
als ich die alte Königsburg und die
Altäre meiner Götter, und die Schule,
wo meine Jugend sich im Waffenspiel
geübt, und Dircens wohlbekannte Wasser
nach langer, langer Trennung wieder sah!
Ganz wider Billigkeit und Recht ward ich
aus diesen Gegenden verbannt, gezwungen
mein Leben in der Fremde zu verweinen.
Nun seh’ ich auch noch dich, geliebte Mutter,
auch dich voll Kummers, mit beschornem Haupte,
in diesem Trau’rgewande – Ach, wie elend
bin ich! Wie unglückbringend, liebe Mutter,
ist Feindschaft zwischen Brüdern, und wie schwer
hält die Versöhnung! – Aber wie ergeht’s
dem alten blinden Vater hier im Hause?

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft8_020.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)