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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Raphael an Julius

Es ist ein gewöhnliches Vorurtheil, die Größe des Menschen nach dem Stoffe zu schätzen, womit er sich beschäftigt, nicht nach der Art, wie er ihn bearbeitet. Aber ein höheres Wesen ehrt gewiß das Gepräge der Vollendung auch in der kleinsten Sphäre, wenn es dagegen auf die eitlen Versuche, mit Insektenblicken das Weltall zu überschauen, mitleidig herabsieht. Unter allen Ideen, die in Deinem Aufsatze enthalten sind, kann ich Dir daher am wenigsten den Satz einräumen, daß es die höchste Bestimmung des Menschen sei, den Geist des Weltschöpfers in seinem Kunstwerke zu ahnden. Zwar weiß auch ich für die Thätigkeit des vollkommensten Wesens kein erhabeneres Bild als die Kunst. Aber eine wichtige Verschiedenheit scheinst Du übersehen zu haben. Das Universum ist kein reiner Abdruck eines Ideals, wie das vollendete Werk eines menschlichen Künstlers. Dieser herrscht despotisch über den todten Stoff, den er zu Versinnlichung seiner Ideen gebraucht. Aber in dem göttlichen Kunstwerke ist der eigenthümliche Werth jedes seiner Bestandtheile geschont, und dieser anhaltende Blick, dessen er jedem Keime von Energie auch in dem kleinsten Geschöpfe

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft7_118.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)