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Mensch isolirt, und sein innerer Gehalt, wodurch er sich von andern einzelnen Wesen unterscheidet, von seinem relativen Werthe abgesondert, auf den er als Glied eines größern oder kleineren Ganzen Anspruch machen kann. Aus der Verwechselung dieser Begriffe entsteht das Unbefriedigende in den gewöhnlichen Theorien vom Verdienste, und eben so wichtig ist dieser Unterschied bei der Frage, in wie fern es dem Künstler erlaubt ist, die Gränzen der Wahrheit und Moralität zu überschreiten.

Irrthum und Laster sind an sich selbst kein Gegenstand der Kunst, wohl aber der eigenthümliche Gehalt, der auch durch die Fehler und Ausschweifungen eines vorzüglichen Menschen hindurch schimmert. Es gibt Thorheiten und Verbrechen, die eine Vereinigung von außerordentlichen und an sich sehr schätzenswerthen Eigenschaften des Kopfes und Herzens voraussetzen. Durch diese Mischung von Licht und Schatten entsteht eine Gattung von Gegenständen, die sich besonders der tragische Künstler am ungernsten versagen würde, weil oft seine erschütterndste Wirkung gerade von einem solchen Contraste abhängt. Auch hat man hierin vorzüglich den dramatischen und epischen Dichtern mehr Freiheit einräumen müssen, wenn sie nicht bloß abstrakte Begriffe personificiren, sondern lebendige Menschen mit bestimmten Umrissen darstellen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_067.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)