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Nicht in der Würde des Stoffs, sondern in der Art seiner Behandlung zeigt sich das Verdienst des Künstlers. Die Begeisterung, welche in ihm durch sein Ideal sich entzündet, verbreitet ihren wohlthätigen Strahl in seinem ganzen Wirkungskreise. Wer ihn zu genießen versteht, fühlt sich emporgehoben über das Prosaische des alltäglichen Lebens, in schönere Welten versezt, und auf einer höhern Stufe der Wesen. Und daß dieser Zustand nicht immer bloß ein augenblicklicher Schwung ist, daß der Nachhall dieser Empfindungen noch oft in der wirklichen Welt fortdauert, ist der Grund, warum eine Veredlung der Menschheit durch Kunst möglich ist. Was sie zu leisten vermag, besteht nicht bloß in der Gewöhnung an höhern Lebensgenuß. Die schönste Wirkung der Kunst ist die edle Schaam, das Gefühl seiner Kleinheit, das einen Menschen von Kopf und Herz bei Betrachtung jedes Meisterstücks so lange verfolgt, bis es ihm selbst gelungen ist, in seiner Sphäre Schöpfer zu seyn.

Begeisterung ist die erste Tugend des Künstlers und Plattheit seine größte Sünde, für die er auch um der besten Absichten willen keine Vergebung erwarten darf. Er verfehlt seine Bestimmung, wenn er, um irgend einen besondern moralischen Zweck zu befördern, eine höhere ästhetische Vollkommenheit

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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_065.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)