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II.

Ueber die Freiheit des Dichters bei der Wahl seines Stoffs.




Werke der Begeisterung zu genießen, ist selbst in unserm Zeitalter kein gemeines Talent. Bei aller Empfänglichkeit für die feinern Schönheiten der Kunst fehlt es doch oft an einer gewissen Unbefangenheit, ohne die ohnmöglich ist, sich ganz in die Seele des Künstlers zu denken. Zwar nähert sich in unsern Tagen die aesthetische Kritik einer größern Vollkommenheit, indem sie Achtung gegen die Freiheit des Genies mit Strenge gegen seine Nachlässigkeiten vereinigt. Aber in Ansehung des Stoffs haben nicht selten gerade die bessern Menschen die wenigste Nachsicht. Sie können oft durch nichts mit einem Kunstwerke ausgesöhnt werden, in welchem sie irgend ein Verstoß gegen Wahrheit oder Moralität beleidigt hat. Allein während daß sie selbst dadurch manche schätzbare Genüsse entbehren, erbittern sie zugleich den Künstler durch die Strenge ihrer Foderungen. Unwillig über die engen Gränzen, in die seine Thätigkeit eingeschränkt werden soll, behauptet er oft seine Freiheit bis zur Uebertreibung, und wagt es, einem Theile

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_059.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)